Wenn nichts mehr geht, geht immer noch das: Billiger ist kein Beifall zu haben als mit der Kritik am Zölibat. Warum nur, heißt es, werden Männer gezwungen, ein Leben lang enthaltsam zu leben? Ist das nicht gegen die Natur? Sieht man nicht am Zölibat, wie weltfremd die Kirche immer noch ist?

Deutschland debattiert über eine Vielzahl sexueller Übergriffe, die sich in evangelischen, katholischen und säkularen Bildungseinrichtungen ereignet haben und die von der jeweiligen Leitung zögerlich oder gar nicht aufgeklärt worden sind. Jeder einzelne Fall ist einer zu viel, ist eine Sünde und eine Schande; jeder einzelne Fall macht unrettbar traurig und verlangt nach juristischer wie moralischer Aufarbeitung. Das ändert freilich nichts an der Tatsache, dass die meisten Übergriffe in der Familie stattfinden. Die Familien und die bisher kaum befragten Sportvereine sind das Hauptrisikogebiet für Heranwachsende.

Statt über dieses sehr ernste Problem zu reden, statt nach der Verantwortung der Erwachsenen für die Kinder zu fragen, holt man einen Ladenhüter aus dem Keller und attackiert den Zölibat. Bischöfe, Laienvertreter und antikirchliche Splittergruppen überbieten sich in Scheinheiligkeit. Selbstverliebte Dampfplauderer wie Hans Küng und Heiner Geißler halten ihre angestaubten Reden: Zwar sei der Zölibat nicht allein schuld an den Übergriffen, aber eben doch ein menschenfeindliches Relikt aus dem Mittelalter. Er habe zu verschwinden.

Wenn, wovon wir ausgehen müssen, Zölibat und Missbrauch nicht ursächlich verbunden sind – warum soll jetzt eine gewiss ergebnislose Debatte über seine Abschaffung geführt werden? Wollen wir auch über die Abschaffung von Sportvereinen reden, weil dort Männer und Frauen getrennt trainieren? Wollen wir die Familie abschaffen, weil nicht jeder Vater seiner Verantwortung gerecht wird? Nein: Wir brauchen zuverlässige, lautere und dabei leidenschaftliche Priester, Sportler und Eltern.

Der Zölibat ist eine theologische Einrichtung, keine Erfindung, um Seelen zu knechten. Nur auf theologische Weise kann sinnvoll geurteilt werden. Die Kritiker führen vor allem pragmatische Gründe und Vorurteile ins Feld.

Darüber werden einige Selbstverständlichkeiten vergessen: Niemand wird zum Zölibat gezwungen, niemand muss Priester einer Kirche werden, die an der Ehelosigkeit festhält. Wer es aber tut – wer es nach reiflicher Überlegung und aus freien Stücken tut –, von dem muss erwartet werden können, dass er nicht wortbrüchig wird; dass er sein Versprechen nicht wegwirft wie ein Hemd, das ihm zu eng geworden ist.

Priesterliche Ehelosigkeit ist ein Zeichen rückhaltloser Hingabe an Christus. Wer sich für diesen Weg frei entscheidet, der gibt zu verstehen: Mit meiner ganzen Person will ich dem dienen, dessen rettende Wiederkehr ich erwarte. Jesus selbst, schreibt der Theologe Klaus Berger, „lebte ehelos, damit die Menschen glauben konnten, dass Jesus es ernst meint mit Gottes zukünftiger Ehe mit seinem Volk.“

Jesus hielt sich demnach durch seine Ehelosigkeit für die endzeitliche Vermählung von Gott und Glaubensvolk bereit – gerade so wollen es auch seine priesterlichen Nachahmer halten. „Die Neigung zu geistlicher Ehelosigkeit“, fährt Klaus Berger fort, „wächst mit dem Glauben an die Auferstehung.“ Könnte es sein, dass der Sinn für den Zölibat verloren ging, weil kaum noch jemand an die Auferstehung glaubt?