Ein großes Paket lag unter Deutschlands Weihnachtsbäumen. Es enthielt die Forderung, die Bundeswehr aus Afghanistan abzuziehen, die Forderung, das Betreuungsgeld nicht einzuführen und stattdessen die staatliche Ganztagsbetreuung auszubauen, die Forderung, den Castingshows im Fernsehen den Boden zu entziehen. Gepackt und geschnürt worden war das Paket von Margot Käßmann.

Die so reich ihr Land beschenkende Frau gab unlängst zu Protokoll, sie wolle „24 Stunden am Tag Bischöfin“ sein. Also muss wohl auch dem Paket mit den handelsüblichen politischen Forderungen ein bischöflicher, am Ende gar christlicher Sinn innewohnen. Bischöfin ist Margot Käßmann seit 1999 und seit Oktober 2009 zudem Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche. Gemeinhin wird sie Deutschlands ranghöchste Protestantin genannt.

Wie begründet sie ihre politischen Forderungen? In Afghanistan herrsche Krieg, „Krieg zieht immer Unrecht und Gewalt nach sich“, also dürfe die Bundeswehr sich nicht daran beteiligen. Das Betreuungsgeld, das von 2013 an jene Eltern erhalten sollen, die ihre kleinen Kinder zu Hause erziehen, könnte „ein Anreiz für manche Eltern sein, Kinder gerade nicht einer Bildungseinrichtung anzuvertrauen.“

Außerdem entspreche ein „Familienbild nicht mehr der Realität“, wonach Eltern für die Kinder kochen und mit ihnen Hausaufgaben machen. Drittens sei in Castingshows und verwandten Formaten der „programmierte Tabubruch“ das einzige Ziel, werde die Menschenwürde nicht hinreichend beachtet.

Es war keine Sternstunde des Protestantismus, als dieser sich als Deutschlands autoritäre Leitreligion verstand und die Nähe des Throns ganz selbstverständlich suchte. An die für überwunden geglaubte Allianz von Staatsmacht und Nationalkirche erinnert das Käßmannsche Credo, die Kompetenz für Kleinkinderbetreuung ganz dem Staat zuzuschreiben. Die „Realität“ gebiete es.

Das heißt doch wohl: Weil flächendeckend keine Mutter, kein Vater sich zu Hause um seinen Nachwuchs kümmern kann oder will, muss der Staat einen Normalfall etablieren, der die Minderheit der selbst erziehenden Eltern marginalisiert, wenn nicht gar unter Generalverdacht stellt. Die Protestantin traut dem Staat all jenes Gute zu, das die Eltern verspielt haben sollen.

Das Credo vom Pazifismus setzt ebenfalls bei einer „Realität“ an. Krieg ist ein schmutziges Geschäft, wer wollte es bestreiten. Ihm zu wehren ist Christenpflicht. Abermals jedoch ist die nationale Optik bezeichnend. Die Bundeswehr soll aufhören, sich am Krieg am Hindukusch zu beteiligen – völlig ungeachtet der Frage, ob nach dem Ausscheiden der Soldaten die Unrecht und die Gewalt und das Töten tatsächlich ein Ende haben werden. Zumindest kein deutsches Blut soll mehr fließen. Käßmann will „mit zivilen Mitteln Frieden schaffen, gerade in einem so gespaltenen Land.“ Der Realitätstest für diese Hoffnung steht aus.

Die Kritik an entwürdigenden Fernsehsendungen kann sich mit dem Verweis auf die Menschenwürde auf ein Kriterium berufen, das aus der christlichen Tradition hervorgegangen ist. Begründet indes wird es nicht christlich, sondern mit Blick auf die sozialen und psychologischen Nebenfolgen der televisionären Stigmatisierung Minderjähriger: „Wie sollen solche Kinder am nächsten Tag wieder mit Selbstbewusstsein in die Schule gehen?”

Es war also eine weltliche Predigt, war ein säkulares Sinnieren, das die Ratsvorsitzende am Hochfest der Geburt Christi massenmedial übermittelte. Der Cantusfirmus war strikt politisch und sehr deutsch. Weder der wahrlich internationale Charakter des Festes noch dessen Heilsbedeutung, von der doch Christen überzeugt sein müssten, fand sich wieder im Politjargon der Fachfrau.

War es nicht der urevangelische Glaubenszeuge Johann Sebastian Bach, der im Oratorium zu Weihnachten dessen Aussage ganz anders und sehr prägnant verdichtete? „Denn Christus hat zerbrochen, was euch zuwider war.  Tod, Teufel, Sünd‘ und Hölle sind ganz und gar geschwächt. Bei Gott hat seine Stelle das menschliche Geschlecht.”

Wie anders klang doch Käßmann anno 2009 selbst in ihrer Weihnachtspredigt zu Hannover: Der Inhalt des Weihnachtsfestes bestehe darin, dass Gott „mitten unter uns ist wie ein Freund oder eine Schwester.“

Mit Margot Käßmann ist der deutsche Protestantismus in eine fundamentale Krise eingetreten. Aus Transzendenz  wird Politik, aus Theologie Gesellschaftskritik, aus Christentum Sittlichkeit. Als Krise kann die neue Ägide  zweierlei sein: der Durchbruch zum Neuen oder bloß der Abbau des Alten.