Das Klima, die Sache mit Kundus und die Gier nach Ewigkeit
Die großen K’s beherrschen den Augenblick: Kundus und Krise, Kopenhagen und Klima. In beiden Fällen kommt für den Betrachter ein fünftes K hinzu, das die Dinge undurchdringlich macht, die Komplexität. Niemand von uns war dabei, sintemal beim Tanklastzugbombardement in Kundus, niemand von uns wird dabei sein, wenn das Klima endgültig die Skeptiker oder die Hysteriker oder die Bedächtigen wird bestätigen.
Ganz andere Menschen als wir werden schmelzende Polkappen oder nichts Besonderes oder gar eine neue Eiszeit gewärtigen. Das vergangene Ereignis wird sich in seiner Komplexität nie so weit reduzieren lassen, dass alle Fragen sich klären. Die Zukunft wird sich nie so akkurat voraussagen lassen, dass die Debatten enden und irgendjemand das letzte Wort hat.
Erst das verschwiegene, das sechste K bildet den gemeinsamen Nenner: die Katastrophe hinter alldem. Das epidemisch wachsende Unbehagen an den Vorfällen zu Kundus verbirgt eine Urangst. Dass kein Krieg sei, nicht dort und grundsätzlich nirgends, wünschen wir uns. Und wenn schon ein Krieg oder eine kriegsähnliche Auseinandersetzung sein muss, möge es bitte keine Opfer geben aus Fleisch und Blut, nur Farben, die beim Blick durch die Kamera explodieren, nur Umrisse, die ihre Form verlieren, berstende Linien, kollabierende Kreise unter dem Druck der Verhältnisse. Ein Strategiespiel, keine Katastrophe soll der „Krieg 21“ sein.
Auch „Klimaleugner“ wie „Klimahysteriker“, als welche man sich wechselseitig bezichtigt, operieren vom selben verleugneten Grund aus. Niemand, der nun so laut das Wort erhebt, wird sich je für seine Prophetie rechtfertigen müssen. Wenn tatsächlich das von Menschen verursachte Kohlendioxid einen Anteil von maximal drei Prozent an der Gesamtmenge ergibt, ist womöglich der „Treibhauseffekt“ ein Schauermärchen.
Ebenso wenig aber kann der gemeine Nachrichtenkonsument das Gegenteil ausschließen: dass des Menschen Industrie die Atmosphäre irreversibel vergiftet hat, zum Schaden für Flora, Fauna, Homo sapiens.
Beide Fraktionen engagieren sich über jedes Debattenmaß hinaus, weil eine gemeinsame Schreckensvision sie quält, ein Bild, das im Gegensatz zu ihren so unterschiedlichen Voraussagen untrüglich wahr werden wird: alles endet. Die Erde wird es eines Tages nicht mehr geben, und wie jeder einzelne Mensch in Bezug auf seine Lebensspanne will das die Menschheit als Gattung nicht wahrhaben. Man will das Enden hinausschieben, am liebsten verhindern, indem entweder man dem „Klimatod“ entgegenarbeitet oder bestreitet, dass es diesen je geben wird.
An irgendetwas wird der Planet sterben. Er ist kein Ding, das unter idealen Umständen endlos bestehen kann. Er wird eines fernen Tages nicht mehr sein. Der Mensch wird verschwinden, die Erde vergehen. Diese lange Perspektive befreit nicht von der Verantwortung, ist kein Persilschein für einen Massenegoismus der Gegenwart zulasten der Zukunft. Wohl aber zeigen die Aufgeregtheiten dieser Tage, dass der Mensch wieder einmal schrill wird und unehrlich, wenn er mit dem Enden konfrontiert wird. Er wünscht sich Ewigkeit und tut alles, um dieser Illusion die Treue zu halten.
Insofern hat die Klimadebatte ebenso wie etwa der Streit um die Sterbehilfe Stellvertreterfunktion. Sie wird geführt, damit wir im Reden und Zetern vergessen, wie machtlos wir sind im Angesicht des Endens. Viel wäre gewonnen, sähen wir darin keine Katastrophe mehr, sondern das letzte Kapitel einer Geschichte, an der wir alle schreiben.