In der Panikfalle
Also sprach die Kanzlerin in ihrer Neujahrsansprache: „Wir können nicht erwarten, dass der Wirtschaftseinbruch schnell wieder vorbei ist. Manches wird gerade im neuen Jahr erst noch schwieriger, bevor es wieder besser werden kann.“ Also ergänzte wenig später Parteifreund Wolfgang Bosbach: In einem halben Jahr schon werde auf Deutschlands Flughäfen der Körper- oder Nacktscanner probeweise eingesetzt. „Zügige Antworten“ seien beim „Thema Flugsicherheit“ gefragt.
CSU-Fraktionskollege Hans-Peter Uhl sekundierte: „In Zeiten des Massen-Tourismus können wir auf Körperscanner nicht verzichten, um Terroristen aus dem Strom der Fluggäste schnell herauszufischen.“ Die Niederlande und Nigeria haben sich bereits dazu entschlossen, Italien und Großbritannien wollen es ihnen gleich tun. Uhl weiß, man kann Bilder auswerten, „ohne dass Sicherheitsbeamte sie zu sehen bekommen. Erkennt der Rechner einen versteckten Gegenstand, gibt er ein Warnsignal, und der betroffene Passagier wird von Hand durchsucht.“
Vor wenigen Tagen schien die Wirtschaftskrise bereits hinter uns zu liegen. Der Chef-Volkswirt der Allianz prophezeite „ein gutes Konjunkturjahr für die deutsche Wirtschaft“, konkret ein Wachstum von 2,8 Prozent. „Das wäre das stärkste Plus seit 2006.“ Die Kanzlerin selbst jubelte im August mit, als ein Anstieg des Bruttoinlandsproduktes um 0,3 Prozent im zweiten Quartal als Epilog der Krise galt.
Nun ist Merkel wieder sehr in Moll gestimmt – vergleichbar ihrem Ressortkollegen Rösler, der sich Anfang Dezember öffentlich gegen Schweinegrippe impfen ließ. Der „sicherste und wirksamste Schutz“ gegen das H1N1-Virus sei eine solche Impfung. Einen „Impfgipfel“ berief er ein. Die Mediziner sollten sich rasch informieren, die Patienten aber gedulden, nicht drängeln, jeder komme dran. Einen Monat ist das her.
Heute verhandelt die Regierung mit der Pharmaindustrie, um den Impfstoff Pandemrix kostengünstig zurückgeben zu können. In Deutschland sollen im zurückliegenden Jahr 132 Menschen der Schweinegrippe zum Opfer gefallen sein – also etwa 0,00165 Promille der Bevölkerung. Die Pandemie hat nicht stattgefunden. Die Wirtschaft hat bisher auch nicht kollabiert, Pauperismus ist anderswo, Depression war einmal. Nicht anders wird es der Jagd nach den menschenwürdeschonenden Nacktbildern für Computeraugen ergehen. Kein Halali wird da erschallen.
Die Politik steckt in der Panikfalle. Ein Durchlauferhitzer ist sie geworden. Nachrichten werden nach dem Muster einfacher Reiz-Reaktionsmechanismen in politische Reflexe übersetzt. Der Umweg über das Gehirn ist nicht vorgesehen. Jedem Problem und jeder Problemvermutung wird mit markigen Worten begegnet, deren Halbwertszeit nach Wochen rechnet.
Immer lautet der Refrain, da dürfe man sich keine Zeit lassen, immer heißt es in der Strophe, wenn man nur könnte, wie man wollte, wäre die Welt eine bessere. Allein die politischen Mitbewerber wüssten nicht, was die Stunde geschlagen hat. Das Bild des Machers will die Menge sehen, und sie bekommt ein Panoptikum energischer Verkünder und Durchblicker geliefert, die sich gegenseitig auf den Zehen stehen.
Die erste Szene des neuen Stücks von Botho Strauß, „Leichtes Spiel“, trägt den Titel „Paniktag“. In einem weitgehend leeren Supermarkt treffen sich „Die Ängstliche“ und „Der linkische Mann“. Sie ist zu spät, die Regale sind wie leergefegt. Er hingegen hat die Meldungen in den Nachrichten, die auf eine allgemeine Drohung deuten, gar nicht gehört. Und so kaufen sie, was noch übrig ist, Topflappen im Dutzend, aber keine Handtücher. Es ist mal wieder einer von den Paniktagen, an denen man den Schauder konsumiert wie sonst das Dosenbier oder den Kurzurlaub.
Wie war das noch mal mit der Vogelgrippe, mit BSE und saurem Regen?