Martin Mosebach und der Ritenstreit zu Weilheim
Weilheim liegt im Pfaffenwinkel. Der Starnberger See rauscht unweit sacht vor sich hin, der Große Ostersee lockt und auch der Ammersee. Auf jede Hebung folgt eine Senke, und von jeder Wiese aus sieht der Gast einen Zwiebelturm, einen Glockenturm, einen Kirchturm. Nach Gras riecht es und Erde und manchmal auch ein wenig nach Streit. An diesem Abend steht im oberbayerischen Weilheim nichts Geringeres zur Diskussion als „Kirche zwischen Tradition und Zukunft“.
Geladen wurde unter dieser Überschrift und zum Abschluss der erstmals ausgerufenen „Weilheimer Glaubensfragen“ der Schriftsteller Martin Mosebach. Ob ihn der weite Weg aus Frankfurt am Main schließlich reute? Die zwei Stunden im „Haus der Begegnung“ wurden vor etwa 150 Besuchern zur erhellenden, nicht erheiternden Blaupause einer Zukunft, die Gegenwart zu werden sich anschickt und die der Leidenschaft, dem Streit, der rückhaltlosen Offenheit wieder Heimrecht gibt im kirchlichen Binnenraum. Die Zeit der Formelkompromisse und der Double-Bind-Kommunikationssurrogate ist vorbei.
Martin Mosebach trug zu Beginn das erste Kapitel aus seiner „Häresie der Formlosigkeit“ vor. Es ist die Geschichte eines Menschen, der vom notgedrungen kulinarischen Konsumenten gregorianischer Choräle zum mitfeiernden Apologeten der gregorianischen Messe wurde. Es ist die Geschichte einer Befreiung, die sich 2007 zum Panorama einer weltkirchlichen Renaissance weitete, als Benedikt XVI. die Gleichrangigkeit von alter gregorianischer und neuer reformierter Messe mit gesetzgeberischer Autorität bekräftigte.
Schon die Lesung war für einige Besucher schwer zu ertragen. Man grummelte immer dann, wenn Mosebach den gewordenen Charakter der älteren Messform, deren Anfänge „sich im Dunkel der Geschichte verlieren“, dem gemachten Charakter des Reformwerks von 1970 gegenüberstellte. In der Diskussion schieden sich vollends die Geister. Grüppchen um Grüppchen verließ mal leise und mal türenschlagend den Saal, sodass am Ende vielleicht noch 100 bis 120 Menschen anwesend waren. Unter diesen konnten, dem Applaus nach zu schließen, die Freunde der lateinischen Messe einen knappen Sieg davon tragen.
Kristallklar, nicht konziliant argumentierte Mosebach. Aufgebracht widersprachen ihm viele Männer und drei Frauen, in der Regel „Kinder von ’68 wie wir alle“ (Mosebach). Der Mann mit der ersten Wortmeldung erregte sich derart, dass er nach seinem anklagenden Stakkato flugs den Raum verlassen wollte und von Mosebach ermahnt wurde, doch bitte wenigstens die Antwort abzuwarten. Im Stakkato eingewickelt war eine Rede, wonach die gemeinschaftliche betende Zusammenkunft das entscheidend Christliche am Gottesdienst sei und nicht dessen Form. Das aber, beschied der Dichter den Diskutanten, sei ein Zerrbild des 19. Jahrhunderts. Im Kult, nicht in der Gemeinschaft werde Christus gegenwärtig.
Mal um Mal entschiedener bekräftigte und ergänzte und verschärfte Mosebach: Die Messe sei keine Vergegenwärtigung des Abendmahls, sondern „Phase“, Vorübergang Gottes. Die erste Messe überhaupt habe nicht im Abendmahlssaal, sondern auf Golgatha stattgefunden. Die Christen kennten ihren Glauben, bräuchten ihn nicht in der Messe erst zu erfahren, weshalb die wortlastige Didaxe dort fehl am Platze sei. Keine differenzierteren Aussagen über Gott ließen sich finden als in den Texten der Alten und nur der Alten Messe. Die verheerenden Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil hätten mit ihrem Glaubenskollaps über dieses ein denkbar schlechtes Urteil gesprochen – obwohl es an den Texten kein Jota zu beanstanden gäbe. Vielmehr hätten die deutschen Bischöfe im offenen Widerstand gegen das Konzil Handkommunion und Zelebration versus populum erzwungen. Papst Paul VI., der sein Placet gab zur nachkonziliaren Liturgiereform, müsse man leider einen Tyrannen nennen in jenem spezifisch griechischen Sinne, wonach der Tyrann ein Traditionsunterbrecher sei.
Martin Mosebach ist der Prototyp eines engagierten Laien, der durch seinen gelehrten Furor die sonstige Blässe dieses wohlfeilen Etiketts offenlegt. Gemeinhin ist der engagierte Laie ein halbgebildeter Institutionenkritiker, dessen Engagement den Herrschaftsbereich des Politischen in die Kirche hinein ausdehnen und also vollenden will. Der engagierte Laie will in der Regel mehr vom Selben, die Welt noch einmal. Das Gegenteil will Martin Mosebach: Konzentration statt Diffusion, Sakrament statt Politik, Hierarchie statt Pluralismus.
Verdutzt erklärte eine Dame schließlich, sie frage sich schon sehr, ob es denn zum Anlass des Abends nicht mehr zu sagen gebe als diese oder jene liturgische Betrachtung, ob er denn kein anderes Thema habe. Martin Mosebach replizierte knapp: „Nein, es gibt für mich zunächst einmal kein anderes Thema als die Messe.“ Denn alles, ließe sich sagen, buchstäblich alles in Welt und Nachwelt entscheidet sich daran, ob im Kultus noch ein letztes Mal der christliche Glaube ins Lot kommt.