Wo man begraben wird
Manche Monate wurden erfunden, damit sie Wort werden und Bild. Der April ist so launisch, dass er Wendehälsen und Diven eine unversiegbare Rechtfertigung gibt. Im Mai greift der Maler zum Pinsel, um neu anzufangen, neu zu lieben, neu zu erschaffen. Der September gibt den Tagen ihre schönsten Farben, der Oktober taucht sie in Gold. Und dann und nun lädt der November zum Kehraus mancher Hoffnung, zur Stille, zum Blick nach innen.
November ist der Monat, da kein Haus man sich mehr baut und also unbehaust dem Schnee entgegen schlendert. November sind die Tage, da man einsam im Nebel wandert und sich seltsam dabei erfährt. November sind kreisendes Laub im Wirbel der Chaussee. November ist der Geruch von Erde, feuchter Morgenluft und Nebelnacht. November ist immer schon der, an den wir denken, ehe wir ihn erfahren. Im Futteral der Bilder steckt er fest vertaut.
Traurig macht der November weit weniger als der Juni oder Juli. Wenn alles eingestellt scheint auf Rückschau, Vergänglichkeit, Melancholie, fühlt der Melancholiker sich pudelwohl. Er braucht nicht irre zu gehen an einer Welt, die rasend nur um sich kreist. Der Periphere rückt in die Mitte einer zentrifugalen Entschleunigung, die allgemein ist.
Im November also fiel mir wieder ein: Heimat ist, wo du begraben wirst. So ähnlich sagte es der alte Mann, der mir ungefragt eröffnete, er habe vor nunmehr vierzig Jahren, als er hierher zog, nach einem ersten Rundgang durch den Ort sofort gewusst: Hier willst du begraben sein. Gewiss war damals auch und sehr viel Liebe im Spiel, niemand zieht ganz leicht von dannen. Das Bekenntnis aber bleibt von kristalliner Klarheit. Das Grab wird uns wahr sprechen.
Wie die meisten Novembergedanken ist auch dieser eher sachlich denn traurig. Der ehemals junge Mann wusste – in der Nachhut eines Krieges, der Tod und Mord und Heimatlosigkeit und viele Gräber „in fremder Erde“ über die Welt gebracht hatte –, dass ihm einst die Stunde schlagen würde und dass sie es bitte hier tun solle. Dann würde sich sein Leben runden, auf der allerletzten Kehre.
So streckt der ganze November sich aus. Er ist ein Pfeil, kein Kreis, ein Weckruf, kein Abgesang. Er bricht die morschen Zweige, damit der Boden wachsen kann. Er hebt die Blätter, um sie einmal wenigstens flattern zu lassen, in freier Verzückung sonnenwärts. Er ist Episode, die schwindet und wiederkehrt, gerade so Epoche macht und tröstet. Ich mag ihn.