Deutschland war verschwunden. Zurückgelassen hatte es ein sehr großes, sehr weißes Stück Tuch. Darunter lag vielleicht das alte, bekannte Land mit seinen Wiesen und Häusern, seinen Gänsen und Menschen, seinen Sorgen und Nöten und Freuden, wer konnte es wissen. Man sah ja nur das große, weiße, sehr dicht gewebte Tuch den lieben langen Tag. Zöge man es weg, wäre vielleicht eine ganz andere Region zum Vorschein gekommen, ein Flecken, in dem der Honig fließt oder der Wermut und Worte die einzige feste Nahrung sind. Deutschland wäre endgültig Geschichte. Wer weiß das schon.

Der Nebel wollte sich also nicht teilen, die Sonne war ein Gerücht, als die Kälte in die Kleider kroch und eine wachsende Schar dem Glockenklang folgte. Man schrieb das Fest Elisabeths von Thüringen. Vierundzwanzig Lebensjahre hatten der ungarischen Königstochter genügt, um sich ewig ins Weltgedächtnis einzuschreiben. Etwas älter war der Mann, zu dessen Ehre sich die Schar versammelte. Aus ganz Bayern und darüber hinaus strömte sie ins winzige Bettbrunn, wo auf den Namen Salvator eine prächtige und prachtvoll heitere Barockkirche hört. „Gehet und berichtet, was ihr hört und seht“ steht unter dem Deckengemälde in jünglingszarter Schnörkelschrift. Und so taten sie es, und so wollen wir es tun.

Der junge Mann trug zu Beginn, beim Einzug, die Stola quer, wie es Diakonensitte ist, hielt ein Gewand und eine Kerze in Händen. Knapp drei Stunden später hatte der Kardinal ihm die Stola vor der Brust gekreuzt und das Gewand übergezogen. Er war nun und für immer Priester. Das einzige laut vernehmbare Wort des jungen Mannes war jenes, mit dem die Zeremonie endete: „Libenter“ – „Gern“. So lautete die Antwort auf des Kardinals allerletzte Ermahnung in einer langen Reihe von Ermahnungen: Er solle doch nach seiner ersten Messe deren drei weitere lesen und auch „bitten für mich“, „etiam pro me ora.“

So endete im direkten Austausch von Ich und Du, im Gebet des einen für den anderen, der ihn doch gerade erhoben hatte in den neuen Stand, eine sehr öffentliche Feier. Es war eine liturgische Reise von den Amplituden der Freude zu den Höhen des unwiderruflich Ernsten und rasch retour und wieder zurück. Auch der Alltag, für den die Feier wetterfest machen sollte, lag unter einem Tuche verborgen.

Der Priester, hörten wir, bekleide das „secundi meriti munus“, das „Amt des zweiten Ranges“, ist also immer auf die Plätze verwiesen hinter dem einen allein, der Meister genannt werden darf. Und diese Nachrangigkeit in allem will teuer erstanden sein, mit Gerechtigkeit nämlich und Standhaftigkeit, Barmherzigkeit, Tapferkeit, „iustitiam, constantiam, misericordiam, fortitudinem“.

Auch von der „geistlichen Arznei“, die des jungen Mannes Lehre künftig sein solle, der „spiritualis medicina populo Dei“, für das Volk Gottes, sprach der Kardinal, und auch von himmlischer Weisheit, bewährten Sitten ging das ernste Wort, „caelestis sapientia, probi more“. Nichts Geringeres stand und steht schließlich auf dem Spiel als die Würde des jungen Mannes, gleichsam zum Gehilfen des Moses und der zwölf Apostel erwählt zu werden, „in adiutorium Moysi et duodecim Apostolos“. Ist es ein Wunder, dass der Beistand fast aller Heiliger in einer fünfzehnminütigen Litanei erfleht wurde, damit des jungen Mannes Knie etwas weniger zitterten, beim Gang in diese Ahnenreihe? „Orate pro nobis.“

Der Kardinal sprach auch in seiner nun fremd klingenden deutschen Muttersprache vom „ewigkeitsschweren Augenblick“, der sich ereigne im Moment der Weihe, in der Stille also, wenn zwei Hände ein Dach formen auf eines anderen Haupt. Und dann hinkt die Sprache hinterher, so gut es eben geht in allem vorläufigen Menschenwerk, formt die ehernen Worte, „accipe spiritum sanctum“, „empfange den Heiligen Geist“.

Gesungen wurde auch, vom Freudenöl, „oleo laetitia“, und einem Lebenspfand, „fons vivus“, von Trost und Gnade und Herrlichkeit. Von einem Weg ohne Makel und der Ehrfurcht vor den Geboten. Von Lippen voller Anmut. Von Milde und Recht. Von Vernunft und Güte. Von Liebe.

Er wird nun einen langen Weg gehen, der junge Mann, und sehr hoffen, nie allein zu sein in den Nebeltälern und nie auf den Sonnengipfeln. Das Tuch wird ein Land der Seele ihm offenbaren, in dem der Honig wie Wermut schmecken kann. Wer weiß das schon.