Mein altes Lexikon ist dumm. Es kann nichts dafür, denn es stammt von 1984. Und damals reichte es vollkommen, hinter dem Stichwort „Nachhaltigkeit“ einen Pfeil zu platzieren, der weiterleitete zu „Holzeinschlag“. Der Eintrag für „Holzeinschlag“ klärte dann auf: „In einer geordneten Holzwirtschaft ist der Holzeinschlag streng an die Nachhaltigkeit gebunden, das heißt, es darf jährlich nur so viel Holz im Wald eingeschlagen werden, wie der Zuwachs beträgt.“

Foto: H. P. Rabit

Glückliche Zeiten waren das, anno 1984, als die Nachhaltigkeit streng begrenzt war auf den Raum der Natur, des Waldes, des Holzes. Mein Lexikon hätte nicht zu träumen gewagt, dass eines fernen Tages Nachhaltigkeit zum Etikett werden würde, das man jeder Erscheinung der belebten oder der unbelebten Natur verpassen kann. Es bezeichnet nicht mehr die schonende Bestandspflege der Bäume unter industriellen Bedingungen, sondern etwas ungleich Simpleres: die lange Dauer.

Nachhaltig soll heute alles sein: der Abbau von Schulden ebenso wie der Aufbau von Elektromobilität. Der Konsum und der Tourismus. Die Politik und die Wirtschaft. Der Sport und der Joghurt. Wir werden ermahnt, nachhaltig zu shoppen, nachhaltig zu reisen, nachhaltig zu essen, nachhaltig zu duschen, nachhaltig zu lieben. Der entgrenzte Begriff dient einem moralischen Imperativ: Handle stets so, dass dein Tun in einer möglichst weitreichenden Zukunft möglichst wenig negative Spuren hinterlässt.

An einem solchen Konzept ist einerseits nichts zu tadeln – andererseits büßt es in rhetorischer Endlosschleife seinen Ernst ein, nachhaltig sozusagen. Wer auf allen Feldern an Nachhaltigkeit appelliert, entwertet den Grundsatz, den er verwirklichen will. Es ist schlicht unmöglich, jedes Handeln an der Elle zukünftiger Folgenminimierung zu messen. Folgen sind oft unkalkulierbar, und eine Nachhaltigkeit hier kann geradewegs in die Mittelverschwendung dort führen. Wie etwa sollte man umgehen mit jenem Batterieschrott, veritablem Sondermüll, den flächendeckende Elektromobilität verursachte?

Vor allem aber halten die Nachhaltigkeitsapostel sich zu selten an das erste Nachhaltigkeitsgebot überhaupt: Rede stets so, dass deine Worte einen klaren Sinn haben und ihn auch in Zukunft behalten werden. Die Wette wag‘ ich: In dreißig Jahren wird kein Lexikon mehr wissen, was in die seltsamen Menschen des Jahres 2019 gefahren war, die nicht wussten, wohin die Reise gehen soll, wohl aber, dass es nachhaltig geschehen müsse – unbedingt.