Weihnachten kommt immer so plötzlich
Das ironische Sätzlein hört man oft: Weihnachten kommt immer so plötzlich. Gemeint ist damit die offensichtlich himmelschreiende Diskrepanz zwischen einem fixen, jährlich wiederkehrenden Termin und unseren Anstalten, sich auf ihn einzustimmen, vorzubereiten, geschenketechnisch vor allem. Mann rennt am 23. Dezember panisch in die nächst gelegene Parfümerieabteilung? Weihnachten kommt ja immer so plötzlich. Frau druckt am Morgen des 24. Dezember panisch ein Konzertticket aus? Oh, dieses plötzliche Weihnachten!
Dabei ist, recht besehen, Plötzlichkeit das Erkennungsmal von Weihnachten. Womit niemand rechnen konnte, das hat sich ein für allemal wirklich ereignet, in der Nacht zu Bethlehem, damit es nun Jahr um Jahr auf uns zukommt. Was niemand erwartete, obwohl es verkündet worden war, überraschte, überschauerte die Menschen. Bis heute. Ein Weihnachten, das nicht plötzlich käme, wäre kein Ereignis mehr. Eine Nacht ohne Plötzlichkeit kann nicht geweiht sein. Sie wäre das Gegenteil, wäre Routine, Vorhersehbarkeit, langer Weg ohne Ziel. Kreis ohne Pfeil, Dunkelheit ohne Blitz, Erde ohne Segen.
Im zurückliegenden Jahr konnte ein neues politisches Sachbuch von mir erscheinen. Es dürfte das 14. gewesen sein, die kleineren mit eingerechnet. Auch das wird nie Routine: „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“ – die elektronische Fassung lässt sich auch noch unmittelbar vor der Bescherung beziehen, ganz ohne Panik, und als Antidot zu mancher Weihnachtspredigt.
Einige Male durfte ich 2019 zu Gast sein in der „Phoenixrunde“ des Fernsehsenders „Phoenix“, zuletzt am 21. November zur Zukunft der CDU, einmal im ARD-„Presseclub“, dreimal im Podcast „Morning Briefing“ von Gabor Steingart, zuletzt am 2. Dezember, als ich Botho Strauß aus Anlass von dessen 75. Geburtstag würdigte. All das hat mich sehr gefreut. Dass ich noch beim „Cicero“ bin und gern bin, dürfte den Wenigsten entgangen sein. Das Dreier-Gespräch über den Jubilar Fontane war gewiss ein Höhepunkt. Welcher „Konter“ bei cicero.de besonders gelungen ist, liegt freilich im Auge der Betrachterin.
Dass wir in erhitzen Zeiten leben und damit nicht der Klimawandel gemeint ist, legt uns, die wir öffentlich denken, eine Verantwortung auf: Einzustehen für das, was zu sagen nottut, sich nicht beirren zu lassen, nicht mutlos und nicht traurig zu werden – und zugleich die Contenance zu wahren. Der wunderbare Max Hermann-Neiße schrieb am 8. März 1930 aus Berlin an seinen Freund Friedrich Grieger: „Ministerpredigt gegen Individualismus – zum Kotzen!“
Von den vielen Lektüren hat mir jene der Aldous-Huxley-Biografie von Uwe Rasch und Gerhard Wagner einen neuen Kosmos erschlossen, schön und herb zugleich. Auch an entlegener Stelle trug sie Früchte, man lese nur nach zum inneren Zusammenhang von Trägheit und Spektakel. Huxley, dessen dreibändige Essayausgabe bei Piper ich nur empfehlen kann, schrieb 1935: „Die Politik ist eines jener Tätigkeitsfelder, die der Mensch gewählt hat, um sich wie ein wild gewordener Affe aufzuführen.“ Und 1937 uns allen ins Stammbuch: „Genaues Denken ist die Bedingung richtigen Verhaltens. Es ist überdies in sich selbst ein moralischer Vorgang; denn wer genau denken will, muss beachtlichen Versuchungen widerstehen.“
Was das neue Jahr bringen wird? Ich weiß es nicht, zwei Buchprojekte aber werden mich beschäftigen. Einmal, wie üblich fast, als den Autor eines politischen Sach- und Debattenbuchs, das ins Herz unserer schlingernden Zeit zielt. Und als den Herausgeber und Moderator eines europäischen Gesprächs über die Bedrohungen der Freiheit, derer wir heute gewahr werden, und die Notwendigkeit eines neuen Bürgertums. Bei Twitter, bei Instagram – Follower stets willkommen –, auf der Homepage und im Newsletter werde ich mit Neuigkeiten nicht hinter dem Berg halten.
So wünsche ich allen formidable Weihnachten, ein glamouröses Silvester, einen glücklichen Start ins neue, noch ganz und gar ungeschriebene Jahr 2020 hinein. Ganz gewiss werden da Plötzlichkeiten sein – und dennoch: „Wer feste Überzeugungen besitzt, darf gerade deswegen aufs Denken nicht verzichten.“ (Huxley)