Benedikt XVI. gilt als Theologenpapst. Er denkt, redet und urteilt strikt theologisch, wie kaum ein Pontifex vor ihm. Auch seine politischen Appelle sind Handlungsempfehlungen aus geistlicher Perspektive. Weil das Denken des ehemaligen Universitätsprofessors Ratzinger in den Kirchenvätern und im Zusammenklang von Bibel und Tradition wurzelt, bestimmt dieses Fundament das Pontifikat Benedikts XVI.

Nirgends wird diese Verbindung deutlicher als bei den Generalaudienzen. Mittwoch für Mittwoch lädt Benedikt zur Vorlesung auf den Petersplatz. Dort und in den Enzykliken liegt der rote Faden dieses Pontifikats offen zutage. Er lässt sich auf die Formel bringen: Der innere Mensch muss gesunden, damit die Welt gerecht werden kann.

Auch auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen um die Pius-Bruderschaft wich Benedikt nicht davon ab. Er sprach am 11. Februar 2009 – einen Tag vor dem deeskalierenden Treffen mit einer jüdischen Delegation – von dem Eremiten Johannes Klimakos. Dessen Hauptwerk aus dem siebten Jahrhundert, „Die Paradiesesleiter“, erklärt den christlichen Weg zur Seelenruhe. Benedikts Pointe wies in die Gegenwart: „Es muss die Haltung der Arroganz überwunden werden, die einen sagen lässt: ‚Ich weiß es in dieser meiner Zeit des 21. Jahrhunderts besser, als es jene damals vermocht hätten.‘“

Damit ist ein Grundzug der Ratzingerschen Theologie benannt. Anhand klassischer, oft antiker oder mittelalterlicher Glaubenszeugen soll die Gegenwart gedeutet und korrigiert werden. Und diese Deutung aus dem Fundus der Tradition setzt nicht bei Strukturen an, sondern beim inneren Menschen. „Ohne Heilung der Seelen, ohne Heilung des Menschen von innen her“, sagte er im Juli 2009, „kann es kein Heil für die Menschheit geben.“

Die Mittwochskatechesen widmeten sich zunächst den Psalmen. Es folgten bis Februar 2007 die Apostel, sodann deren Schüler und die Kirchenväter. Zwanzig Betrachtungen zu Paulus schlossen sich an. Seit Februar 2009 stehen die „großen mittelalterlichen Kirchenschriftsteller der Kirche des Ostens und des Westens“ im Fokus.

Ende März deutete der Papst den Kölner Dominikaner und Universalgelehrten Albertus Magnus als einen Mann, der zeige, „dass zwischen Wissenschaft und Glaube Freundschaft besteht.“ Ein weiteres theologisches Hauptthema Ratzingers, die Versöhnung von Glaube und Vernunft, klang so an.
Ein derart traditionsgesättigtes Programm ist nicht repräsentativ für die Universitätstheologie des 21. Jahrhunderts.

Mit dieser geht Benedikt XVI. regelmäßig, etwa bei den jährlichen Treffen mit der Internationalen Theologenkommission, hart ins Gericht. Ende vergangenen Jahres warnte er vor dem Hochmut und der Dummheit einer Theologie, die „das große Geheimnis Jesu, des menschgewordenen Gottessohnes, auf den historischen Jesus verkürzt: eine tragische Gestalt, ein Gespenst ohne Fleisch und Blut.“ Wahre Theologie brauche Liebe zu den Glaubenswahrheiten und Treue zum Lehramt. So habe es das Zweite Vatikanische Konzil dargelegt.

Der Theologenpapst ist auch ein grüner Papst und ein Globalisierungskritiker. In der Botschaft zum Weltfriedenstag 2010 heißt es im Titel: „Willst du den Frieden fördern, so bewahre die Schöpfung.“ Der Mensch habe sich zur Schöpfung „wie ein Ausbeuter verhalten, der über sie eine absolute Dominanz ausüben will“.

Ergo müsse der Mensch, um die Ressourcen zu schonen, sein moralisches Koordinatensystem ändern. Er müsse die „Logik des bloßen Konsums“ überwinden und erkennen, dass „eine starke Wechselbeziehung zwischen der Bekämpfung von Umweltschäden und der Förderung der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen besteht“ – zwischen Umweltökologie also und Humanökologie.

Gemeinsamer Nenner sei das „natürliche Sittengesetz“. So steht es auch in der Sozialenzyklika „Caritas in veritate“: „Das Buch der Natur ist eines und unteilbar, sowohl bezüglich der Umwelt wie des Lebens und der Bereiche Sexualität, Ehe, Familie, soziale Beziehungen, kurz der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen.“

Im religiösen Dialog lässt sich die Hinwendung zur Innenschau ebenfalls ablesen. Aus evangelischer Sicht lautet der Vorwurf, Benedikts „starre Haltung“ – so der einstige EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber – behindere die Ökumene. Aus päpstlicher Sicht aber schreitet die „Ökumene des Gebets und des gemeinsamen Zeugnisses“ voran.

Es gibt mehr katholisch-protestantische Begegnungen als unter Johannes Paul II. Das gemeinsame Abendmahl steht jedoch nicht auf der Agenda. Vor vier Wochen besuchte Benedikt die lutherische Gemeinde in Rom und bekräftigte: Durch die Spaltung habe die Christenheit Schuld auf sich geladen. Man solle aber „zuallererst dankbar werden, dass es soviel Einheit gibt“, im Gebet, im Gottesdienst.

Eine größere, eine sichtbare Einheit könne nur Gott schenken, „denn eine Einheit, die wir selbst aushandeln würden, wäre menschengemacht und so brüchig, wie alles, was Menschen machen.“ Die Beziehungen zur Orthodoxie haben sich unterdessen verbessert. Deren Traditionsgebundenheit erleichtert die Annäherung.

Auf theologischer Ebene ist die Hochschätzung des Judentums gewachsen. Benedikt XVI. nennt die Juden nicht wie Wojtyla „unsere älteren Brüder“, sondern „Väter im Glauben“. Drei Synagogen hat er bisher besucht, mehr als alle Päpste vor ihm. In der römischen bestätigte er im Januar den „unwiderruflichen Weg des Dialogs, der Brüderlichkeit und der Freundschaft“, wie ihn das letzte Konzil festgelegt habe.

Nachdem Muslime seine Regensburger Rede kritisiert hatten, wurde ein katholisch-muslimisches Forum eingerichtet. Nach dessen erstem Treffen im November 2008 hieß es in der gemeinsamen Erklärung, Katholiken und Muslime seien berufen, „Werkzeuge der Liebe und der Harmonie zu sein, die jeder Form von Unterdrückung, aggressiver Gewalt und Terrorismus abschwören (…) und die das Prinzip ‚Gerechtigkeit für alle‘ hochhalten.“ Damit öffnet sich der Kreis zu den sozialpolitischen Initiativen des Theologenpapstes.

An einem aber lässt Benedikt XVI. trotz so mannigfacher Dialoge, Foren und Diskurse mit Juden, Moslems, Anders- und Ungläubigen keinen Zweifel: „Jesus Christus ist der Retter und Erlöser aller Menschen und Völker.“