Monthly Archives: September 2010

Die Kallwass, die Filzlaus und ich

Erwischt: Ich bin „eine Wand“. Ich habe eine „narzisstische Persönlichkeit“. Ich bestehe aus Vorurteilen. Ich höre nicht zu. Ich lasse mich nicht ein. Ich bin nicht interessiert. Das alles erfuhr ich in wenigen Sekunden während einer Podiumsdiskussion in Augsburg vor 300 Zuhörern.

Die Durchschauerin, der ich nie zuvor begegnet bin, hörte auf den Namen Angelika Kallwass und ist eine bekannte Schauspielerin. Studiert hat sie Volkswirtschaft und Psychologie, bekannt aber ist sie als Laienspielerin vom Dienst. Bei „Sat.1.“ spielt sie im Dauerbrenner „Zwei bei Kallwass“ eine Psychologin.

In erfundenen Szenen, die sich fast immer an misslungenen Sexualkontakten entzünden, im Schreien beginnen und ins allgemeine Heulen münden, sagt sie zu Laienspielern, die Patienten mimen: „Der einzige, der weiß, dass Sie mit Maya geschlafen haben, sind Sie zur Zeit.“ „Da sollten Sie offen sein.“ „Damit müssen Sie jetzt einfach aufräumen.“ „Sie sind sehr aufgeregt, verständlicherweise, wäre ich an Ihrer Stelle auch.“ „Sie haben jetzt einmal einen besonders guten Sex gehabt, und verständlicherweise wollen Sie den weiter behalten.“

Das mag sehen, wer mag; das ist weder empfehlenswert noch verbotswürdig. Laut Senderwerbung ist die Psychologinnendarstellerin Kallwass die Frau, die alles kann. Sie „löst Probleme und findet immer einen Weg.“ In dieser Woche etwa war es ein Problem, dass Filzläuse sich nur beim Geschlechtsverkehr übertragen und deshalb die Jenny den Stefan betrogen haben muss (Folge vom 24.9. um 14 Uhr).

Oder dass die schwangere Sandra „wieder anschaffen gegangen ist“ und deshalb der Gino sich von ihr trennte (am 24.9. um 10 Uhr). Oder dass der Aaron seine Schwägerin Maya schwängerte, die sich nun von ihrem Mann Clemens trennen will, der sie wiederum mit ihrer Schwester betrog (am 21.9. um 14 Uhr).

All das und den übrigen phantasielosen Stumpfsinn rechnete Frau Kallwass bei der Augsburger Podiumsdiskussion  einer friedensnobelpreisverdächtigen „bestimmten Umgangskultur, einer Streitkultur, einer Diskussionskultur“ zu. Sie wolle, ganz therapeutisch, „durch Einsicht zur Veränderung“ bewegen. Und als die menschliche Wand, als also ich, das Gegenteil öffentlich aussprach, wurde ich vor Publikum kurzerhand verarztet, gemaßregelt, zurechtgewiesen – als säße mir eine Domina mit Begriffspeitsche gegenüber. Nicht die schrundigen Schreiorgien seien zynisch, sondern deren Kritiker sei es, der rohe Narzisst.

Was lernen wir? Das psychologisierende Gequatsche, das mit Befunden um sich wirft, ist anfällig für Einbildungen aller Art. Wer einmal die Wonnen der öffentlichen Macht kostete, mag von ihr nicht lassen. Und wer laut Drehbuch für alles Verständnis hat, alles durchschaut, alles richtig sieht und alles gerade rückt, wird im Zweifel persönlich, wenn die Allmacht sich nicht so spreizen darf, wie sie es gewohnt ist.

Als professioneller „Zwei bei Kallwass“-Glotzer habe ich dafür vollstes Verständnis. Es kann ja keine Freude sein, 2000 Folgen lang, zweimal täglich, dem Unterleib im Unterholz nachzujagen. Da gilt die Einsicht der schwangeren Maya: „Mein Bauch, mein Herz, ich fühle das. Ich kann nicht mehr.“

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Politik und Intrigantentum |

Jetzt stellen wir uns mal ganz dumm: Der Klausner sitzt in einer Klause, weil selbige abgeschlossen ist. Klausuren schreibt man in Räumen, aus denen nichts nach draußen dringt. Klausurtagungen finden statt, weil die Teilnehmer unter sich bleiben wollen. So war es bisher, so ist es nicht mehr.

Seit der vergangenen Woche und dem „Fall Erika Steinbach“ wissen wir, dass Fraktionen nur deshalb in Klausur gehen, um jeden hinter verschlossener Tür gefallenen Satz danach brühwarm der Presse ins Netbook zu diktieren. Klausursitzungen von CDU/CSU sind Pressekonferenzen mit nachgelagerter Öffentlichkeit.

Auf einer Vorstandsklausur nämlich der Unionsfraktion sprach die Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach am vergangenen Mittwoch einen Satz, der, isoliert betrachtet, zu Missverständnissen einlädt. Sie äußerte sich zur Mobilmachung Polens anno 1939 vor Kriegsbeginn. Und dann, so steht es in aller Unschuld allüberall zu lesen, geschah das Bezeichnende: „Kurz nachdem Steinbach die Klausur verlassen hat, bekommen die Medien Wind von dem Getöse. Die Bombe geht hoch.“

Der Wind war kein Naturphänomen. Irgendjemand hat „durchgestochen“. Ein Parteifreund brauste zur Presse und deutete angewidert auf Parteifreundin Erika: Was die sich eben geleistet hat, lieber Journalist, das wirst du kaum glauben. Es ist sonst nicht meine Art, lieber Journalist, du kennst mich, aber das muss ich dir erzählen. Erika, du kennst sie ja, hat vor fünf Minuten Folgendes gesagt. Wenig später war durch den fast live hinterbrachten Satz die Vorstandskarriere der Erika Steinbach beendet, exekutiert von Parteifreunden.

Der Satz ist unklug und überflüssig. Es zeugt nicht von Souveränität, nicht von Sensibilität, die Mobilmachung Polens vor Hitlers Überfall plötzlich zum Thema zu machen. Bestürzend aber, degoutant und intrigant ist die heimtückische Feindseligkeit aus dem Kreise der sogenannten Parteifreunde. Wie schlecht muss es um die parteiinterne Debattenkultur bestellt sein, wie wenig muss das freie Wort noch gelten, wenn im vertraulichen Kreis das Lauern Methode hat und aus jedem Satz jederzeit ein Strick gedreht wird: Alles kann gegen Sie verwendet werden.

Bundespräsident Wulff beschwerte sich unlängst über Häme und Misstrauen, die jenen entgegen schlügen, die sich politisch engagieren. Das mag stimmen. Viel verheerender aber ist diese Lektion aus dem „Fall Steinbach“, der weit eher ein „Fall CDU/CSU“ ist: Politik heißt das Reich, in dem das Misstrauen universal ist, der Vertrauensbruch ubiquitär und in jedem Parteifreund ein Schwestermörder steckt

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