Monthly Archives: November 2010

Bumm tschumm bumm

Zu den beliebten Gemeinplätzen, an denen wir alle uns gerne tummeln, zählt jener von der Beliebigkeit der Literatur. Man könne doch schreiben, was man will, das rege niemanden auf. Früher stritt man über den Geschmack, weil man ihn besaß, heute fehle er ganz, weshalb das Achselzucken regiert. Und ganz besonders die Lyrik, die eh‘ von fast niemandem gelesen werde, sei die Feier des bloß Subjektiven, unteilbar Intimen. Falsch gedacht, dreimal falsch.

Nicht jeder mag die „Münchner Turmschreiber“ kennen. Dem Literatenzirkel gehören etwa Friedrich Ani, Tanja Kinkel, Georg Lohmeier, Petra Morsbach, Konstantin Wecker an – und Helmut Zöpfl nicht mehr. Darüber ist nun ein Streit entstanden, der Spalte um Spalte der lokalen Leserbriefseiten füllt. Zöpfl nämlich hat eine große Fangemeinde, wie sie sich die Nachgeborenen erst noch erschreiben müssen. Zöpfl, ehedem Pädagogikprofessor, steht für das humorvolle volkstümliche Gedicht, ein Reich, in dem Paar- und Kreuzreim nicht untergehen: „Freunde kannst du nicht kaufen für noch so viel Geld, / einen Freund musst du suchen wie nichts auf der Welt.“

Helmut Zöpfl also, dessen Bücher Titel tragen wie „Zum G’sundlachen“, „Das kleine Glück“, „Komm, lach halt wieder“, wurde aus dem Kreis der „Turmschreiber“ verbannt. Von Streit ist die Rede, mangelnden Umgangsformen, alten Zöpfen und manchem mehr. Seine Leser sind rechtschaffen außer sich: Zöpfl sei „einer der beliebtesten und vor allem erfolgreichsten Poeten“, habe sich „in hohem Maße“ um die bairische Sprache verdient gemacht. Man sei „schockiert“, „bestürzt“, „empört“. Die neuen Wortführer hätten sich eher verabschieden sollen, zuvörderst der als Antipode ausgemachte Lyriker Anton G. Leitner, von dem etwa die Zeilen stammen: „Bumm tschumm bumm Bumm tschumm bumm Dumm“.

Wie alles Grundsätzliche ist der „Turmschreiber“-Streit eine Stilfrage. Und wie bei jede Stilfrage konfligieren die Temperamente, die Weltanschauungen, die Eitelkeiten, dass es eine Art ist. Hier der reimende Seelenmasseur, dort die Lautmaler und Neutöner, hier das bodenständige Idyll, dort Avantgarde und Provinz. Beides findet in den Ton, beides will klingen.

Und darum ist dieser Streit ein Hoffnungszeichen in einem Land, das sich abzuschaffen partout nicht gesonnen ist: Wo die Volksseele kocht, weil sie Volkskunst will, da ist das Volk sehr lebendig. Wir werden noch davon hören.

Dr. Schlauberger antwortet IV

Es waren zwei Jahre und nicht die schlechtesten, die ich in Luzern verbrachte. Dort lebte ich, als das Wahrzeichen der Stadt, die Kapellbrücke, abbrannte. In Luzern war ich auch, als der Schweizer Schriftsteller Nikolaus Meienberg seinem Leben ein Ende setzte. Sein Tod fuhr mir ins Herz. So wurde die Zeit in Luzern zum Sonnentag, den ein doppeltes Unglück einrahmte.

Seit damals verfolge ich die Nachrichten aus der Eidgenossenschaft. Man will den Stab nicht brechen über eine Stadt, einen See, eine Luft, die Teil waren des Ichs. Man will sich die Erinnerung bewahren, wie sie sich abgelagert hat. Zu ihr gehört auch das Gegenüber von Hofkirche und Jesuitenkirche. Während jene sich eher als römisch-katholisch verstand, kochten die Jesuiten, wie es üblich ist, ihr eigenes romkritisches Süppchen.

Damals war mir nicht bewusst, dass aufgrund komplizierter Historie in der Schweiz eine Doppelstruktur existiert. Neben den Dekanaten und Pfarreien, wie sie das kanonische Recht vorsieht, gibt es staatskirchenrechtliche Landeskirchen, die Kirchensteuern einsammeln und die Administration regeln. Für Luzern ist das Bistum Chur geistlich zuständig, das Geld und die Kirchenpolitik kanalisiert aber die „Römisch-Katholische Landeskirche des Kantons Luzern“. Deren Teilbereich ist die „katholische Kirche Luzern“, die sich zur „Lebenspraxis von Jesus“ bekennt und „als kommunikative Kirche“ definiert, „die den Menschen und ihren Anliegen offen und aufmerksam begegnet und sich auf sie ausrichtet.“

Herren der Welt sollen also die Weltkinder sein, denen nach dem Munde zu reden ein gewisser Jesus – von Christus ist die Rede nicht – offenbar empfiehlt. Insofern ist es konsequent, dass Ende Oktober die „katholische Kirche Luzern“ männliche Jugendliche zum Geschlechtsverkehr aufrief – unter der Bedingung, ein Gummitütlein überzuziehen. So sehe „integrierte, ganzheitliche Sexualität“ aus. Deshalb verteilte die „katholische Kirche Luzern“ Kondome.

Das öffentliche Reden des verantwortlichen „Pfarreileiters“ von St. Johannes, eines Priesters offenbar mit Namen Alois Metz, zeigte dreierlei: Katholizität funktioniert zu unkatholischen Zwecken; Modernität ist oft ein anderes Wort für Unbildung; und wer nur Werten den Weg bahnen will, muss um den Glauben einen Bogen machen.

Beginnen wir bei der letzten Erkenntnis. Metz wollte mit der Aktion „große Werte, wichtige Werte wieder transportieren“, christliche Werte. Er startete den PR-Feldzug für die Gummiindustrie, weil es ein christlicher Wert sei, „das Leben zu schützen“. Dass dieser Schutz ein relativer ist, wurde ebenso übergangen wie die Einsicht, dass Kirche, die sich ernst nimmt, nicht Werte produzieren, sondern für das ewige Leben rüsten will. Das Seelenheil ist ihr Zweck, nicht die Technisierung der Geschlechtlichkeit.

Zweitens gibt der in Kernbereichen ignorante, in Randgebieten eher halbgebildete Metz zu, dass er den Papst vom Hörensagen kennt. Laut Metz sei es falsch zu sagen, „die Welt ist schlecht, die Menschheit ist schlecht, was man ja oft vom Papst so zu hören bekommt. Ich weiß nicht, ob es so ist, aber das hört man in den Medien.“

Zum Mitschreiben: Ein Priester der Papstkirche setzt sich sein falsches Papstbild aus papstkritischen Schweizer Medien zusammen. Eine Predigt Benedikts XVI. zu lesen, passt nicht ins Zeitmanagement, wenn man hauptberuflich dialogisiert, schwadroniert, kondomisiert.

Drittens beruft sich Metz auf einen hanseatischen Dampfplauderer. Der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke habe ihn ermuntert durch die Aussage, „wer Aids hat und sexuell aktiv ist, wer wechselnde Partnerschaften sucht, muss andere und sich selber schützen.“ Wo solche innerkirchliche Weltanschauungskonkurrenz gedeiht, braucht es keine Kirchenfeinde.

Benedikt XVI. mahnt stetig die „innere Reinigung“ der Kirche an, ihre neue Ausrichtung auf den, dem allein sie dient. Manchmal im Säuseln, manchmal im Feuerbrand kann eine solche Reinigung gelingen. Und manchmal ist es nötig, dass dabei mehr zu Bruch geht zu Luzern als eine Holzbrücke.

 

Erschien zuerst im Vatican Magazin, November 2010.

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