Die Pein hat einen Namen: Christmette. Schon zuckt die Tastatur, da den Satz ich niederschreibe. Aber so ist es – zumindest dann, wenn man Anlass und Geschichte strikt von der Durchführung des Festes trennt. Kein Christentum ohne Weihnachten, natürlich, aber vielleicht gäbe es ein kolossal anderes Christentum ohne die real existierende Christmette. Und vielleicht wäre dieses andere Christentum ohne die Christmettenkonvention unserer Tage froher, leidenschaftlicher, feuriger.

Die Christmette, wie sie Jahr um Jahr in unseren Breitengraden zelebriert wird, leidet allzu oft am Zuviel der Erwartungen und am Zuwenig des Mutes. Beides ist verständlich, macht die Sache aber kaum besser. Priester, Gemeinde, Chor wissen, dass sie nur einmal im Jahr ein so großes Publikum vor sich haben. Es mutwillig vor den Kopf zu stoßen, wäre unklug und fast schon boshaft. Die große Schar, die nur am 24. Dezember kommt, deutlich spüren zu lassen, dass an 52 Sonntagen im Jahr sich dasselbe Schauspiel wahr ereignet, wäre barsch. Soll man wüten gegen die feierbereite Menge, nur weil sie aus ganz unterschiedlichen Gründen den fremden Weg gegangen ist?

Und so nimmt das Goldige seinen Lauf. Alles ist auf Festlichkeit getrimmt, die eben nicht deckungsgleich ist mit jenem freudigen Staunen, das die Hirten auf dem Felde damals erlebten. Ergriffenheit lässt sich durch Lächeln nicht ersetzen. Die Predigt bewegt sich deshalb oft auf solidem, erprobtem Gebiet.

Vom liebenden Gott, der sich klein macht, hören wir, vom Kind, das einen Neuanfang markiert, vom Stall der kleinen Leute, der auch heute noch „mitten in der Welt“ ein Ort sei der Ausgrenzung, der Armut, und flugs landet der Prediger bei Bahnhofsmission oder Asylantenheim, nicht ohne in einer finalen Volte die Engel zu erwähnen, zu denen ein jeder und jede sich zählen könne, wenn er oder sie die Freude von Weihnachten künftig teilte mit denen am Rande, damit Friede werde, Freude herrsche, Amen.

Vieles stimmt, manches ist falsch und schief an solchem Reden. Die wahre Neuigkeit aber, die damals wie heute das Begreifen übersteigt, ist doch wohl nicht der auf geheimnisvolle Weise verzwergte, sondern der erst- und einmalig vermenschlichte Gott, ist die Inkarnation. Einmal, nur einmal in der Menschheitsgeschichte wandelte eine Person auf Erden, die Gott war – so glauben die Christen theoretisch, so bekräftigen sie praktisch es kaum mehr.

Wäre es also nicht überfällig, wenigstens an Weihnachten klar und mutig von diesem Novum, vom unterscheidend christlichen Gottesbegriff also zu reden?
Dann wäre auch Raum gewonnen für die von Gilbert Keith Chesterton so genau ausgeleuchtete „dramatische und krisenhafte Seite dieses Festes“. Darauf deute nicht zuletzt das dritte Geschenk am Dreikönigstag, die Myrrhe, „was übersetzt so viel heißt wie Bitterkeit.“

Weihnachten, fuhr Chesterton 1932 fort, „wäre niemals Weihnachten geworden, gäbe es nicht in seiner Süße eben jene Spur von Bitterkeit. Vielleicht nicht mehr als eine Prise Salz; aber es ist dieses Salz, das das Essen und das Fest, den Truthahn und den Plumpudding davor bewahrt, zu verderben und ganz vulgär gefressen zu werden. Es bewahrt das Ideal der Barmherzigkeit davor, sich in Laschheit und Luxus und rührselige Selbstzufriedenheit aufzulösen.“

Chesterton wusste, dass über dem Stern von Bethlehem das Kreuz von Golgatha sacht schon steht. „Diese winzige Erinnerung an das Kreuz muss alles Christliche vor dieser ganzen Entwicklung“ hin zum süßlich Saturierten beschützen; „eine Erinnerung an die Bitterkeit der Wahrheit, die Bitterkeit der Ehre, die Bitterkeit des Todes.“

Freude soll natürlich herrschen, Jubel-und Lobgesang erschallen, doch Spaß und Routine sind fehl am Platze. Damit aus der Christmette eine Christfeier werden kann, empfiehlt sich auch hier, den Blick zu weiten, aufzuschauen nach oben, statt nur rings in den Kreis der Gerührten.

 

Erschien zuerst im Vatican Magazin, Dezember 2010