Monthly Archives: Juni 2011

Wer hat dich, Geist, so ruiniert?

Der „Dominica Pentecostes“ liegt im Fadenkreuz gar vieler Missverständnisse: Pfingsten, wie bitte? Ein schöner Auftakt in den Sommer ist das doch, ein verlängertes Wochenende, und sonst? Das Hochfest leidet massiv an seiner Unhandlichkeit. Vordergründig sperrt es sich gegen die Übersetzung. Wie malt man nur ein Brausen, wie wendet man „Zungen wie von Feuer“ ins Gegenwärtige, was soll ein „Heiliger Geist“ bedeuten?

Die Schwierigkeiten mit Pfingsten liegen aber auch und vermutlich vor allem daran, dass alles Geistige, das sich jenseits der Spirituosenabteilung in den Supermärkten vollzieht, ruiniert scheint. Es ist nicht wie weiland noch bei Goethe ein präzise zu fassender, ein ganz besonderer, ein eben teuflischer „Geist, der stets verneint“. Nein: Es ist der Geist an sich und überhaupt, der als das Anti-Prinzip schlechthin gilt.

Wer den Geist – sei es den menschlichen, sei es den schöpferischen – ehren will, gilt als Verneiner, als Spaßverderber. Von der Materie, heißt es dann, leben wir schließlich, Materie sind wir, sie ist für Luxus, Laune, Laster zuständig, für Sofortvergnügungen und Totalerlebnisse, für den Kick und den Kitzel, das Risiko und die Rendite.

Gerade darum wäre heute mehr Geist vonnöten – Geist als Moment der Besinnung und Verlangsamung, des Gedankens und Gedenkens, der Zurücknahme jenes fatalen Menschentyps, der machen und modeln will und darüber die Richtung seiner Projekte vergisst. Der ewige Betrieb, den unser Werkeln veranstaltet, ohne Werke zu hinterlassen, ist nicht nur ein geistloses, sondern oft auch ein geisttötendes Unterfangen. Wo alles Leben auf Ziffer und Zahl reduziert wird, verkümmert das Sein und flieht jener inspirierende Funke, der den Menschen erst die Krone der Schöpfung zurecht tragen lässt.

Diesen Zusammenhang hat schon vor rund 70 Jahren der Schriftsteller Rudolf Borchardt erkannt. Der reformierte Christ mit jüdischen Wurzeln bekannte sich emphatisch zur „zweiten Epiphanie nach der weihnachtlichen“, zum „revolutionären Wiederausbrechen der ins Irdische eingeflößten Sprengwirkung“, zum „heiligen Contagium“.

Und er benannte präzise den Preis für dessen Vernachlässigung: „Pfingsten, Vorform des Gottesreichs und der Gemeinschaft der Kinder Gottes, enthält die Kirche ganz und selber und sollte das höchste Fest überhaupt der Seelenhaften sein – wie es das vernachlässigste der Entseelten und Abgeplatteten allerdings geworden ist.“

So auch 2011: Wer die Seele retten will, muss zuerst den Geist rehabilitieren.

Mosebach, Keyserling und die Stimmung der Welt

Zu Eduard von Keyserling kam ich so: Eines sehr heißen Sommers war‘s, als der Roman „Wellen“ mich fand. Er lugte hervor, im kommoden Urlaubsumfang von 160 Seiten, aus der Bibliothek eines Schiffes, das die Donau unter sich spürte. „Wellen“ auf den Wellen, das passte formidabel. Dann aber waren die Keyserling’schen Bewegungen zu Ende, noch ehe der Urlaub sein nämliches gefunden hatte. Ich geriet in allergrößte Verlegenheit. Was sollte nun noch kommen?

Die „Wellen“ sind jene am Ufer des Baltikums, die in der verschatteten, da unschicklichen Liebe der Gräfin Doralice Köjne-Jasky zu dem Maler Hans Grill den Hauptpart übernehmen – neben dem Meer und dem Himmel, in jenem sich spiegelnd. Eduard von Keyserling schildert den „Abgrund von Licht“, in den die Liebenden fallen, den „Rausch der Weite und des Lichtes“.

Einmal sagt Doralice „müde und mitleidig zugleich“ zu Hans: „Zusammen, wir bleiben zusammen, wir beide sind ja doch miteinander ganz allein.“ Kurz darauf wird der Himmel farbig, „die Wolken am Horizont bekamen dicke goldene Säume, und eine Welle von Rot übergoss den Himmel. Auch in das Graugrün des Meeres mischten sich blanke Fäden, und die Höhlungen der brechenden Wellen am Strande füllten sich mit Rosenrot, und plötzlich begann des Meer weiter dem Horizonte zu ganz in Rotgold zu brennen.“

Wegen solch impressionistischer Naturschilderung gilt Eduard von Keyserling als Meister der Stimmungen. Auch Martin Mosebach, der nun in der „Bayerischen Akademie der schönen Künste“ im Verein mit den Literaturwissenschaftlern Dieter Borchmeyer und Jens Malte Fischer seinen Keyserling rezitierte und interpretierte, griff zum heute leider übel beleumundeten Wort von der Stimmung. Zur schönsten Demonstration las er mit baritonal schnurrender, akkurat prononcierender Stimme, das Kostbare durch Präzision, nicht Pathos verdeutlichend, aus den „Schwülen Tagen“, entstanden 1904 bis 1906.

Nicht Welle und Licht sind in der Novelle die eigentlichen Akteure, sondern die kurländischen Schlösser, laut Mosebach „aus der Zeit gefallene Lebensgemeinschaften.“ Weil der wahre Dichter eben immer – man schlage nach bei Rudolf Borchardt – die Stimme erheben muss in Namen der causae victae, der gewesenen, besiegten Dinge, darf die Liebe zum Schloss mit Mosebachs allergrößter Sympathie rechnen.

Keyserling, fuhr der Büchner-Preisträger fort, habe eine veritable „Unterweltmagie“ durch die fein abgestufte „Abstraktion der Natur“ geschaffen. Indem diese ins Musikalische verdichtet worden sei, „wie eine angeschlagene Cellosaite“, habe sie ihren dinglichen Charakter verloren. Conclusio meinerseits: Nur die exakteste Beobachtung des Besonderen gebiert das Allgemeine.

Mosebach erwartet trotz zyklisch wiederkehrender Renaissancen kein großes Publikum für derlei betörende „abstrakte Literatur“. Die Deutschen nämlich, die lieben Deutschen, „wollen sich immer konkret belehren lassen“. Da aber gerieten sie bei Keyserling und dessen „kostbarer Note“, die genossen, nicht erklärt werden will, an den Falschen. Im Lichte von Mosebachs Einsatz für die katholische Orthodoxie ist man versucht hinzuzufügen: Darum wollen die Deutschen selbst im Gottesdienst unterwiesen, nicht umgeschmolzen werden.

Und wohl auch diese Einsicht ist nicht unbedingt mehrheitsfähig: Der Dichter – man nehme Keyserling, Mosebach, Borchardt – schreibe „in Erinnerung an eine Welt, die er verlassen hat.“ Borchardt näherte sich Königsberg von Berlin, Deutschland von der Toskana aus, Mosebach selbst schreibt außerhalb Europas über diabolische deutsche Liebeshändel, Keyserling wurde in München zum Sänger des Baltikums. Nicht, was bleibt, stiften demnach die Dichter, sondern was war.

Die letzte Volte aber dieses erstaunlichen Abends wäre fast in den frohgemuten Abschiedsreden und im Rascheln der Tücher untergegangen, die sich Münchens feine Damen umgeworfen hatten. Gerade nämlich, so Martin Mosebach, das verdichtete, zu Musik und Atmosphäre geronnene Schauen, gerade diese ungemein farbige Abstraktionskunst gewinne der Literatur die Realität zurück. Denn nehmen wir Menschlein unsere Welt nicht auch in Bruchstücken nur wahr, die sich stetig neu ineinander schieben? Ist Stimmung nicht die Weise, in der wir Welt erfahren?

Hans Grill, das sei hier nicht verschwiegen, bleibt schließlich in den Wellen. Und die schöne, bleiche Doralice geht am Strand auf und ab, „sie wollte Hans dienen“, bis „das blassere Gold der Oktobersonne über den Wellen lag.“

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