Sommer auf dem Dorfe
Ob es sein erster Einsatz war? Zögernd, als wolle er sich versichern, dass der Boden ihn wirklich trage, zog er seine schlingernden Kreise; es waren deren vier. Er trat durch die Lichtschranke ins Innere des Supermarktes, blieb stehen knapp hinter der Schwelle, in der Abteilung mit Gemüse und Obst, getroffen von einem unsichtbaren Zollstock. Kam er ins Straucheln, jetzt schon? Er stand und blickte, nach links zu den Tomaten, nach rechts zu Paprika und Gurke. Das rechte Bein federte lose im Takt, die Augen schossen wieder von rechts nach links, retour. Er begann den ersten Kreis trippelnd.
Nicht nur der blauen Plastikkrücken wegen, an denen der junge Mann mit dem sandfarbenen Gesicht und der dunklen Tigermähne durch den Gang tänzelte, hatte sein Gang etwas seltsam Absichtsloses. Er schien gekommen, nicht um zu kaufen, sondern um sich in einer denkbar exotischen Welt deren neuesten Kuriositäten zeigen zu lassen. Ach, das hier also nennt man Bohne, das hier Apfel? Und was fängt man damit an?
Das kurze Gespräch, in das er eine nicht eben ranke Stammkundin verwickelte, hatte vermutlich die Besonderheiten spitzer Früchte und den Nachteil runden Obstes zum Inhalt. Der junge Mann hörte zu, nickte freundlich und verständnislos, tanzte zurück, schloss den zweiten Kreis.
Nun erst sah ich: Das rechte Bein, das knapp über dem unsicheren Boden dahin flog, war so dick nur wie ein Besenstiel. Die Augen glänzten, der Mund schickte der Kundin in deren Rücken ein Lächeln nach, die Mähne umschwebte das Haupt wie eine schiefe Aureole, das Bein allein erzählte von Entbehrung, Niederlage, Hässlichkeit. Es hielt ihn nicht davon ab, zum dritten und zum vierten Mal die nämliche Runde zurückzulegen, somnambul nach einer Zwetschge zu greifen, sie fassungslos zurückzulegen, die gegenüberliegende Sellerie schon im Blick. Das rechte Bein war sein Ruderblatt. Was wollte er hier?
Als der vierte Kreis vollendet war, schlug der Zollstock wieder zu. Der junge Mann hielt inne, kurz vor der Lichtschranke. Für einen Moment verwandelte er sich zurück in jene Salzsäule, als die er seinen Habichtsdienst begonnen hatte. Schon war er wieder draußen, mit einem letzten, klar als Abschluss gekennzeichneten Ausfallschritt zur Seite hin.
Zwischen Eingangspforte und Einkaufswagen stand er im Lot. Die Augen sollten nun die neu hinzu tretende Kundschaft freundlich, ja schelmisch willkommen heißen. Dann und wann verließ die rechte Hand die Krücke, auf die sie sacht gestützt blieb, und formte einen Kessel, gerade groß genug für einen Spatz.
Auf dem Parkplatz kauerte derweil, in sich gebogen, vom grauen Pflasterstein fast verborgen, der Besitzer des jungen Mannes. Er schaute angestrengt auf ein rot eingefasstes Display und dann und wann in absichtsvoller Beiläufigkeit hin zu seinem Eigentum. Er führte Buch. Er berührte das Display mit einem dünnen Stift, blickte zur Eingangspforte, machte wieder einen Eintrag im Leistungskonto des Profibettlers mit dem abgemagerten Bein.
Wie lange die Beiden, wie lange Herr und Knecht ihrer abgezirkelten Arbeit wohl nachgingen? Wie hoch der Ertrag war, wer wem was schuldig und also unvermindert abhängig blieb? Sie waren verschwunden, als ich später zurückkam. Jedes Handwerk hat seine Abgründe.