Vor einer Woche stand an dieser Stelle eine szenische Imagination aus Anlass der PR-Offensive des Robert Zollitsch. Der Freiburger Erzbischof ist mittlerweile ein gutes Stück vorangekommen. Dem Interview in der „Zeit“ vom 1. September folgten fast ebenso umfängliche Auftritte in der „Augsburger Allgemeinen“, der „Welt“, der „Westfalenpost“.

 

Der Besuch Benedikts XVI. in Deutschland wird thematisch arrondiert. Tenor: Man muss, darf, soll über alles reden, auch über heiße Eisen wie Interkommunion und wiederverheiratet Geschiedene, muss, darf, soll alles „theologisch durchdringen und pastoral durchdenken“, und dann schauen wir mal, was herauskommt. Der Soundtrack zu derlei barrierefreier Gutwilligkeit lautete einst, „ja, ja, ja, jetzt wird wieder in die Hände gespuckt…“.
Auf scharfe Kritik wie lautes Lob stieß besagte szenische Miniatur über des Bischofs verbale Munterkeit. Man vermisste mehr als einmal Fairness und Respekt gegenüber Zollitsch und Wulff. Der Kolumnist sei ein Spötter, nichts sonst. Man könne nur hoffen, dass es ein einmaliger Ausrutscher war. Eine Entschuldigung sei angebracht.
Die bemerkenswerteste Passage im „Zeit“-Gespräch war die bisher unentdeckte Tatsache, Christian Wulff sei „ein Katholik, der seinen Glauben lebt“. Bekanntlich hat Wulff im Juni 2006 die Meldung, sich von seiner Frau nach 18 Ehejahren getrennt zu haben, verknüpft mit der Präsentation einer neuen Freundin, der geschiedenen Bettina Körner, mittlerweile Wulff, First Lady.

 

Margot Käßmann, damals Landesbischöfin in Hannover, kommentierte scharf: Sie könne „in keiner Weise nachvollziehen, dass (…) ganz plötzlich eine neue Partnerin öffentlich präsentiert wird, als sei nichts gewesen.“ Wulff habe „einfach die eine Frau durch die andere ersetzt, bevor wirklich eine Trennung (…) stattgefunden hat. Da gibt es für mich Schamgrenzen und Anstandsfristen, da geht es um die Verletzung von Gefühlen und auch um die Würde aller Beteiligten.“
Wollen wir hoffen, dass der einmal schamfreie Christian Wulff derart geläutert ist, dass er das Lob Zollitschs in zweiter Ehe verdient und zum katholischen Role model nun taugt. Wollen wir ebenfalls hoffen, dass sich bei der Begrüßungsrede am 22. September für Benedikt XVI. nicht urplötzlich der alte Adam im Bundespräsidenten melden wird, der einst den Papst schurigelte.

 

Als Angela Merkel grund- und stillos im Februar 2009 eine weitere Distanzierung Benedikts vom Holocaust forderte, sprang Parteifreund Wulff ihr bei und sorgte für eine Ökumene des Dünkels. Eine „Klarstellung“ vom Papst einzufordern, sei legitim – wohlgemerkt hatte es eine solche damals längst gegeben –, auch die Kirche müsse sich „von Radikalen klar abgrenzen.“
Warum also, wenn nicht aus arkanen Gründen, hat Zollitsch sich Christian Wulff zur besonderen Belobigung ausgesucht? Weil er der prominenteste Patchworker Deutschlands ist und die Fetzenehe als Ausweis von Modernität gilt? Ein Leser schreibt dazu: Zollitsch bewege sich ganz im Strom der Zeit, wenn er Barmherzigkeit für Wulff fordere und Wunscherfüllung meine, „denn das passiert in einer auf Wünsche abgestellten Gesellschaft ständig. Nur ist es selbstverständlich keine Barmherzigkeit, einem Kind so unendlich großen Mengen an Schokolade zu geben, wie es sich wünscht, sondern Lieblosigkeit. (…) Die Folge der derzeit allerorten verbreiteten Zollitsch‘schen Haltung, dass man jeden Wunsch erfüllen müsse, ist nämlich, dass dann die Wünsche gezielt manipuliert werden müssen.“

 

So werde der Mensch auf lange Sicht vollständig unfrei. Das Böse siege letztlich. Und dass er „mit Christian Wulff paktiert, zeigt eben, dass Zollitsch wie alle Mediokren den mediokren deutschen Politiker dem fabelhaft intelligenten Papst in Rom vorzieht.“ Müsste er diesem, nebenbei bemerkt, nicht eher Gehorsam entgegen bringen statt dialektischem Kalkül?
Zumindest das also wird sich aus den Interviews des Versammlungsleiters der Deutschen Bischofskonferenz lernen lassen: Im noch so freundlichen öffentlichen Reden über Glaube, Kultus, Solidargemeinschaft triumphieren die Parameter ganz weltlicher Weltanschauung. Gehorsam und Demut sind nicht vermittelbar, nicht vorgesehen, Wunscherfüllung und Subjektivismus verstehen sich von selbst. Hat das nur strukturelle Gründe? Ist die Zeit nun einmal so, oder sind wir es, die die Zeit so furchtsam verbiegen?

 

Herr Zollitsch und das Zirkuspferd | 5. September 2011

In Freiburg wird der Trank zum ewigen Leben gebraut. Der glückliche Herr Zollitsch genießt ihn täglich, in kleinen Schlückchen. Er setzt das Gläslein an, freut sich, wenn der wunderbare Trank sacht die Kehle hinunter rinnt, und hebt es aufs Neue. Solchermaßen gestärkt, verlässt der liebe Herr Zollitsch munter und freundlich sein Arbeitszimmer im Breisgau, hinaus in die große weite Welt, wo man ihn so gerne befragt nach diesem und jenem. Dann gibt er Antwort und verliert seine Munterkeit nicht.
Wer ihm zuhört, der fühlt sich ganz aufgehoben im besänftigenden Fluss der Silben. Da ist keine Stromschnelle in Sicht, kein Wasserfall voraus. Unwetter gibt es nicht in diesem, in seinem singenden Ton. Etwas wandert die Stimme nach oben, um sogleich sich zurückfallen zu lassen auf die sehr stabile Mittellage, die kein Klang länger verlassen darf, feind dem Punkt, wider das Komma. Es ist ein Eiapopeia des Einvernehmens mit jenem und diesem und gewiss auch mit sich. Könnten Kinder, bettete man sie in diese Silbenwiege, je das Schlummern verlernen?
Der sanfte Herr Zollitsch plaudert gerne, und er weiß, ihm ist dabei kein Maß gesetzt. Vor den Zumutungen der Zeit bewahrt ihn der wunderbare Trank. Schon 73 Lenze währt das Leben des rüstigen Herrn Zollitsch. Es steckt also, solange das Elixier in Freiburg gebraut wird, noch ganz in den Kinderschuhen. Ohne den Trank im Leibe könnte der frohe Herr Zollitsch nicht einmal denken, was er nun so herzig in der „Zeit“ aussprach. Er werde „zu meinen Lebzeiten“ noch erleben, „dass wir in der Frage der wiederverheirateten Geschiedenen weiterkommen werden.“
Ob Methusalems 969 Lebensjahre das Maß sind für die Tagträume des milden Herrn Zollitsch? Eine gehörige Spanne Zeit muss es sein, da doch in dieser „Frage“ ein „Weiterkommen“ an keinem Kirchenhorizont sich abzeichnet. Der gütige Herr Zollitsch redet gerne von den „Reformen“ in den Lehrgebäuden seines Dienstherrn, der Kirche, als sei diese bereits vollständig umschritten, wenn er seine Füße um das Freiburger Münster gelenkt hat.

 

Mit der Langsamkeit der bürgerlichen Veränderungen im römischen Haupthaus mag er sich nicht anfreunden – obwohl er doch der Zeiten ganzer Herr sein muss. Ja, wenn es nach ihm ginge, würden die „wiederverheirateten Geschiedenen“ eilig durchgewunken, wenn sie –wie es in Freiburg offenbar der Fall ist – in Legionenstärke Sonntag um Sonntag mit den Füßen scharren im Kirchenschiff und nach der Eucharistie verlangen.

 

Dass er die römische Leitung, die zu vertreten er bestellt ist, mit solchen Improvisationen schwer düpiert, drückt ihn nicht. Dass er Stimmungen die Stimme leiht ohne Argument, ohne Theologie, auch nicht. Er wollte es einmal aussprechen, einfach so, der Tag war schön, die Luft sehr lind.
Oder sang sich da am Ende eine Weise aus, die andere ihm auf- und vorgesetzt hatten? Las er recht und schlecht vom Blatte ab, das ihm von interessierter Seite routiniert gereicht wurde? Bauchredner verfahren ähnlich mit ihren Puppen. Wir wissen es nicht, wir hören nur den singenden, wehenden, fliehenden Klang und staunen: Ist der litaneiende Herr Zollitsch wirklich im Brotberuf Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz?
Er sang sich zumindest hinein in die Herzen der Journalisten mit diesem „Zeit“-Gespräch über sich, den guten Reformator, und die anderen, die römischen Herren, die schlimmen Bremser. Für einmal packte die „Frankfurter Rundschau“ ihren antikirchlichen Furor in Watte, pries sanft und süß den „liebenswürdigen Vorsitzenden“ und „beharrlichen Bohrer dicker Bretter.“ Die „Bild“-Zeitung erkor ihn gar zum „Gewinner des Tages“, nannte ihn „mutig und gütig.“ Applaus bekommt das Zirkuspferd, wenn es die richtigen Pirouetten dreht.
Am Abend dann schloss der lächelnde Herr Zollitsch die Vorhänge in der badischen Stube sacht wieder, rückte den Sessel näher an den Schallplattenspieler und genehmigte sich einen letzten Schluck aus der Flasche mit dem Zaubertrunk. Es war ihm behaglich zumute. Er war sehr mit sich im Reinen.