Wer etwas zu sagen hat, der sagt es am Rande. Entscheidend ist selten, was auf Kongressen oder bei Tagungen, bei Ministertreffen oder Verhandlungsgesprächen Thema wird. Entscheidend ist fast immer, was an deren Rande geschieht. Der Rahmen bestimmt über das Bild, die Lobby schlägt das Podium, der Wandelgang das Forum. Zentrifugal ist unser Leben.

Eine Landesministerin verkündet den schlagenden Satz „am Rande der Klausur“ ihrer Fraktion. Der Beitrittsvertrag der Europäischen Union mit Kroatien wird „am Rande des EU-Gipfels“ unterzeichnet. Der britische Premierminister trifft sich mit der deutschen Kanzlerin „am Rande des Gipfels“. Der chinesische Außenminister bekennt sich zum Euro „am Rande eines Besuchs bei Guido Westerwelle“.

Ein Bundesminister gibt Entwarnung im Anti-Terror-Kampf „am Rande der Innenministerkonferenz“. Neue Unternehmensziele verkündet ein Automanager „am Rande der Tokio Motor Show“. Dass Theo Zwanziger nicht mehr DFB-Präsident sein will, erfahren wir „am Rande der DFB-Jahresabschlussfeier“. Auch „am Rande der dritten Kommunalarchivtagung“ werden Pflöcke eingeschlagen, und sollte dereinst ein Krieg ausbrechen, wird man ihn „am Rande der UN-Abrüstungskonferenz“ erklären.

Dahinter steckt mehr als Begriffsroutine und Schweigegebot. Die Dauergegenwart angeränderter Äußerungen addiert sich zu einer politischen Geographie ganz eigener Art. Gemeinhin will niemand am Rand stehen, will jeder dabei sein und also mittendrin. Ins Zentrum drängt es das Ich, zum Kern der Sache und des Ansehens will es vordringen und selbst Mitte werden.

Die eigene Mitte zu finden ist wiederum das anspruchsvolle Ziel sowohl gelingender Lebensführung als auch erfolgreicher Politik für die Masse, für die Mitte. Dort wähnen sich die großen Parteien allesamt, weil dort auch der Bürger selbst sich verortet. Am Rand geht es einflusslos zu und extrem, am Rand lauern Gefahr und schlechte Laune, der Rand ist das Gossenkind unserer Republik. Eigentlich.

Schwer tun sich auch jene, die an den Rand geschoben werden, ohne es zu wollen. Denen die Teilhabe erschwert wird, das Mittun in der Republik, weil sie nicht alle Zutrittsbedingungen erfüllen für die neue Mitte, zu alt sind, zu krank, zu schwach, zu fremdländisch, zu wenig autonom, zu wenig schön. Es ist kein erfüllendes Leben, dort draußen am Rand, weit weg von den Märkten und Alleen.

Die Rede aber von den Schicksalsnachrichten und den mal epochalen, mal regionalen Neuigkeiten, die vom Rande her auf uns kommen, zeigt: Es ist der Rand, der die Mitte macht. An den Grenzen verdichtet sich alles Zentrale, wird erst als solches erkennbar. Der Rand ist die zugespitzte, die nach außen geschleuderte Mitte. Am Ende aller Abwägung steht der Rand. So wohlfeil die Parole zuweilen auch nachgeplappert sein mag: Am Rande haben wir das Leben ganz. Der Mensch ist ein randständiges Wesen.