Monthly Archives: Januar 2012

Bischof Konrad und die Gerechtigkeit

Es gibt sanftere Polster als jenes auf dem Stuhl des heiligen Ulrich, den unlängst Walter Mixa innehatte und auf dem nun Konrad Zdarsa sitzt. Das katholische Bistum Augsburg gilt als schwieriges Pflaster. Der dort seit 2010 amtierende, aus Görlitz gekommene Bischof lässt sich, so scheint es, weder von der Querelen um den in Augsburg ansässigen nennkatholischen Handelskonzern „Weltbild“ noch von den üblichen „kritischen Stimmen“ verdrießen, die sich für Allgäu und Oberschwaben eine durchsäkularisierte Laienkirche wünschen. Wer Zdarsa sieht, sieht einen munteren Herrn, nicht eben groß, eher asketisch denn barock, eher zupackend denn klügelnd.

Wie bereits sein unmittelbarer Vorgänger stattete Zdarsa der Gemeinde der St.-Margreth-Kirche einen Besuch ab, am „zweiten Sonntag nach Erscheinung“. Dort wird die klassische lateinische Messe gefeiert, wie sie von Konzilspapst Johannes XXIII. approbiert wurde. Doch welcher ikonische Unterschied zu Mixa: Nicht auf einem Bischofssitz wohnte Zdarsa der Messe bei, sondern hinter einer herbeigetragenen schmalen Bank im Chorraum, die ihm nur den Wahl ließ zu knien oder zu stehen, stets den Altar im Blick. Auch Mitra und Stab hatte er zuhause gelassen. Der violette Pileolus zierte das Haupt.

War es also eher der pilgernde Mitbruder denn der residierende Hirte, der den Freunden der Tradition die Ehre erwies? War der Aufseher oder der Nachbar gekommen? Es fand kein Pontifikalamt statt. Zelebrant war der Pater der Petrusbruderschaft. Dieser erinnerte eingangs daran, dass die Diaspora-Erfahrung des Bischofs aus dem Osten in gewisser Weise korreliere mit der inneren Diaspora, in dem sich jahrelang die Anhänger der gregorianischen Messe befanden. Auch diese mussten und müssen mitunter große Strecken zurücklegen, um treu zu bleiben – inmitten, darf man wohl ergänzen, blühender Wüsteneien ringsum.

Der Bischof spendete den Asperges-Segen, zog durch die Reihen, ließ das Weihwasser herabregnen auf Gerechte und Ungerechte, wie es Brauch ist. Des Bades bedürfen die ganz Reinen nicht, „asperge me, Domine, hyssopo et mundabor: lavabis me, et super nivem dealbabor“. Ins Bad der evangelischen Worte lud der Gast in der übervollen Kirche, als er anhob zu predigen: erzählend, plaudernd fast, 25 Minuten lang, als wolle er den rechten Ton nicht verfehlen im Angesicht der Frommen. Traf er ihn?

„Gerade hier und heute“ und also vis-a-vis der ungeteilt römisch-katholischen Katholiken wand er dem ökumenischen Gespräch einen Kranz. Manchmal zeigten protestantische Gelehrte katholischen Professoren, was eine katholische Harke sei, und beschämten diese geradezu, „ich könnte einen Namen nennen.“ Letztlich sei die eine, die frohe Botschaft unstrittig.
Ganz im Sinne des letzten Konzils und des gegenwärtigen Papstes bekräftigte Zdarsa die Einheit der Sendung in der Verschiedenheit des Dienstes: „Immer wenn die Heilige Schrift vorgetragen wird, spricht Christus selbst zu uns, der erhöhte Herr. Darum ist es nur Aufgabe des geweihten Priesters, das Evangelium zu verkünden. Nur er stellt seine Person, seine Stimme, auch die Anstrengung seines Gedankens bei der Predigt Christus zur Verfügung, damit Er zur Sprache kommen kann, damit Er sich den Menschen mitteilen kann. Welch hohe Verantwortung haben wir bei der Verkündigung des Evangeliums!“ Laienpredigt ist demnach ebenso ein hölzernes Eisen wie Laienverkündigung.

Am Schluss griff kehrte der Gedanke wieder. Zdarsa warnte vor einem falschen Gerechtigkeitsempfinden in der Kirche. Die Mahnung aus der Lesung machte er sich zu Eigen – „Wer lehrt, soll lehren“ – und fuhr fort: „„Im Laufe der Zeit hat sich bei uns vieles auf die Priester konzentriert. Wir sollten uns (…) auf unsere persönliche Berufung besinnen und diese ausführen und nicht versuchen, dass jeder aus Gerechtigkeitsgründen jedes machen kann. Nein, jeder muss seiner Berufung gemäß handeln. Das gilt es zu respektieren. Niemand soll sich anmaßen, was eigentlich die Berufung eines anderen Menschen ist – aus Gnade wohlgemerkt und nicht aus eigenem Verdienst.“ Priesteramt in Laienhand, so die abermals sehr konzilstreue Pointe, wäre der nächste schwarze Schimmel.

Dazwischen wandte sich Zdarsa implizit gegen die Neigung der Bruderschaft des Hl. Pius X., für dieses oder jenes Ziel einen „Gebetssturm“ zu entfachen. Nur Beten genügt nicht; „das nämlich hieße, dass wir nur auf den Knien liegen müssen und beten, und dann kann Gott gar nicht mehr anders. (…) Es geht nicht darum, dass wir quasi mit anderen Mitteln – und wenn es das Mittel des Gebets ist – unseren eigenen Willen verfolgen.“ Beten heiße immer, auf den Willen des Vaters zu hören. Nicht anders formuliert es Benedikt XVI. derzeit in seinen Mittwochskatechesen.

Danach reichte man nebenan Sekt und Saft und Salzgebäck. Sonnig war der Himmel, heiter die Stimmung. Die Zeichen des Tages besagen: Es ist normal, wenn ein Bischof auch im außerordentlichen Ritus betet und segnet. Es ist normal, dass Zweites Vatikanum und Alte Messe aufeinander hören. Es wird bald normal sein, dass Bischöfe sonntags den Ysop erflehen und den Schnee und hoffen, „iudica me“.

Die Weihnachtsbotschaft Chestertons

Konsumrausch und Bekenntnisscheu, organisierte Vorfreude ohne echte Festfreude, Rührseligkeit statt Anspruch, Herausforderung, Heiterkeit: Damit dürfte die in weiten Teilen der spätmodernen Gesellschaft vorherrschende Weihnachtskrise, geboren aus Unwissenheit oder echter Gegnerschaft, beschrieben sein. Dass unlängst ein Kandidat bei einer TV-Quiz-Show ausschied, weil er den vierten Advent auf die Zeit nach Heiligabend verlegte, passt ins Bild. Vielleicht als Fest der Familie oder des Friedens scheint die Geburtsstunde des Christentums noch konsensfähig. Mancherorts stellt man multireligiöse Krippen unter den Baum.

Gilbert Keith Chesterton (1874 – 1936) hat all dies wie so vieles kommen sehen – auf typisch chestertonische Art, mit Witz und Verve, ohne sich die Freude, ja den Spaß am Christfest vergällen zu lassen. Wer vom geistreichsten Schriftsteller, den England im 20. Jahrhundert hervorgebracht hat, nur die Detektivgeschichten um Father Brown kennt, kennt Chesterton nicht.

Der Essayist und Erzähler, Lyriker und Dramatiker, Journalist und Romancier war ein Gedankenvulkan von ebenso einnehmendem wie ausladendem Wesen. Er stritt als „Apostel des gesunden Menschenverstandes“ gegen alle Verrücktheiten seiner Zeit. Diese leichthändige Vielgestaltigkeit zeigt sich besonders an jenem Thema, dem er die meisten Betrachtungen und Einwürfe widmete in seinen rund 80 Büchern und 4000 Essays, der Weihnachtszeit.

Die Gefahren für das Hochfest waren damals, zwischen 1910 und 1935, schon ganz ähnlich gelagert wie heute. Dennoch ließ Chesterton sich nicht beirren: Die wahre Weihnacht ist unbesiegbar.

In einem Aufsatz von 1933 über das Wesen des englischen Weihnachtspuddings, der als eine bekanntlich sehr feste Köstlichkeit genug Substanz besitze, um in einer substanzlosen Welt des „Materialismus und Massenmechanismus“ ein Widerspruch zu sein, finden sich klare Sätze gegen „die futuristische Mode unserer Zeit“, wie sie auch den Advent befallen habe: Der Mensch sei mittlerweile daran gewöhnt, „das Glück nicht im Heute, sondern im Morgen zu suchen. Während es einen unaufhörlichen (…) Wirbel gibt anlässlich der herannahenden Festlichkeiten von Weihnachten, herrscht weit weniger Wirbel als nötig, wenn es darum geht, aus Weihnachten selbst ein Fest zu machen. Der moderne Mensch hat das unbestimmte Gefühl, mit dem Fest sei auch gleich das Ende des Festes erreicht. Durch moderne kommerzielle Gepflogenheiten sind die Vorbereitungen so sehr in die Länge gezogen, wie das Erleben des Festes kurz ausfällt.“

Die Unfähigkeit, alles zu seiner Zeit zu feiern oder aber zu betrauern, ist nicht geschwunden. Wer widersteht heute der Spekulatiusseligkeit, die schon im Oktober in den Supermärkten verbreitet wird? Wer greift nicht zu, wenn bereits in der Woche vor Heiligabend die sogenannten Weihnachtsartikel verbilligt werden? Und wer hat sich das Wissen bewahrt, dass man sich erst nach dem 24. Dezember „Frohe Weihnachten“ wünschen kann, dann aber mindestens bis Epiphanie?

Chesterton erinnert uns daran, dass einst „die Vorbereitung die Form einer strengen Adventszeit hatte, mit Fasten am Heiligen Abend. Ging man aber zum Weihnachtsfest über, setzte es sich fort (…) in einer ununterbrochenen Festzeit der Freude von wenigstens zwölf Tagen.“ Kein Luxus also, ließe sich sagen, ohne vorbereitende Askese, keine Erlösung ohne Buße.

Warum aber überbieten die Menschen sich noch immer darin, die Zukunft möglichst phantastisch auszumalen, immer mit der Politikerfloskel „nach vorne zu schauen“, statt die Vergangenheit zu ehren, um aus ihr zu lernen und an ihr Halt zu gewinnen? Chesterton hat eine Antwort parat. „Die Zukunft“, schreibt er in „Was unrecht ist an der Welt“ (1910), sei nun einmal eine „leere Wand, auf die jeder seinen Namen schreiben kann, so groß er will; die Vergangenheit finde ich schon mit unentzifferbarem Gekritzel bedeckt, wie Plato, Jesaias, Shakespeare, Michelangelo, Napoleon. Die Zukunft kann ich so enge werden lassen wie mein eigenes Selbst; die Vergangenheit muss so weit und mannigfach bleiben wie die ganze Menschheit.“

Chesterton, der reaktionäre Demokrat und liberale Katholik, stimmt nicht ein in den billigen Singsang von der Gegenwart als dem jeweiligen Gipfelpunkt der Zivilisation. Sein Blick auf die Vergangenheit ist realistischer. „Es gab so viel flammenden Glauben“, konstatiert er, „den wir nicht wahren, so viel strenges Heldentum, das wir nicht nachahmen können (…). Die Zukunft ist eine Zuflucht vor dem grimmigen Wettbewerb unserer Vorväter. (…) Diese ganze moderne Pose ist am Ende nichts anderes, als dass die Menschen neue Ideale erfinden, weil sie sich an die alten nicht heranwagen. Sie sehen mit Begeisterung in die Zukunft, weil sie Angst haben, zurückzusehen.“

Ein Widerspruch gegen die geschichtsblinde Feier des Zukünftigen, diesen Triumph des Ausgedachten über das Wirkliche und damit der Vorstellung über die Vernunft, ist Weihnachten auch insofern, als es sich auf ein einmaliges, ganz konkretes Geschehen in der Vergangenheit bezieht. Die Feier dieses Ereignisses lässt sich nicht je nach Konjunktur vorverlegen oder verschieben. Es bleibt mit stählernen Seilen an den fixen Termin gebunden.

Weihnachten mitsamt seinen Bräuchen ist, so Chesterton 1935, ein Muster für ein Ritual, und Rituale bedeuten, „gewisse sinnlose Dinge zu tun, weil sie etwas bedeuten. Das Prinzip der modernen Routine dagegen ist es, gewisse sinnvolle Dinge zu tun, (…) sie aber so auszuführen, als ob sie bedeutungslos wären.“ Das moderne Weihnachten ist demnach vom guten Ritual zur schlechten Routine geworden.

Durch den vermeintlich egalitären Verzicht auf „bestimmte Jahreszahlen, Jahreszeiten und symbolische Handlungen“ habe der Mensch sich freiwillig neu versklavt, sich „im alten griechischen Sinne des Wortes (…) zum Idioten gemacht“, zum Menschen ohne besondere Bedeutung, zum Mann ohne Eigenschaften. Allein das wahre Weihnachten in seinem bedeutungsvollen Ritual kann laut Chesterton die Selbstverzwergung verhindern: „Jeder Mensch, der Weihnachten in seinem eigenen Zuhause hochhält, widersteht der tragischen Umformung seines Hauses in einen Bienenstock.“

Wodurch vollbringt das wahre Weihnachtsfest diese Leistung, abseits seines Charakters als Senkblei in die Vergangenheit und individualisierendes Ritual? Weihnachten hat zunächst die Botschaft, dass „etwas geschehen ist“. Diese schlichte Tatsache deutet Chesterton 1925 als Veto gegen die damals wie heute grassierende, sich zum dernier cri der Aufklärung aufputzende „evolutionäre Ethik“. Deren Grundannahme, vertreten und verteidigt etwa von Neoatheisten und Hirnforschern und Evolutionsbiologen und Utilitaristen, besagt, dass es im Fluss der Zeiten keine festen Punkte gibt, sondern nur Abstufungen, keine Ereignisse, nur Prozesse und ergo auch keine feste Moral, nur eine flexible Ethik.

In Chestertons Worten: „Weil die Bestie nur langsam Mensch wird, argumentieren sie, dass eine Bestie zu sein nur langsam unmenschlich macht.“ Alles werde eine Frage des Graduellen, wenn es keine absoluten Maßstäbe gibt. Die „dramatische und krisenhafte Seite“ von Weihnachten schütze vor diesem Trugbild. Die konkrete und unwiderrufliche Menschwerdung Gottes habe schlagend bewiesen, dass einmalige Ereignisse, Haltepunkte im ewigen Werden, dieses Werden dauerhaft zu wandeln vermögen. Es ist eben nicht alles im Fluss, manches stockt auch oder springt. „Etwas ist geschehen. Und lesen wir die Geschichte richtig, ist seither vielleicht gar nichts mehr geschehen.“

Das antievolutionäre Ereignis zu Betlehem ist für Christen in erster Linie Grund zur Freude. An der Freude solle man die Christen, Weihnachtsmenschen allesamt, erkennen. Chesterton erklärt in seinem theologischen Hauptwerk, dem „Unsterblichen Menschen“ (1925), „eine ganz unnatürliche Freude“ zum Erkennungszeichen der ersten Christen.

Diese nämlich, „eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft von Barbaren und Sklaven und armen belanglosen Leuten“, waren in ihrer Freude nicht zu erschüttern, obwohl sie zugleich erklärten, „dass Gott tot wäre und dass sie selbst ihn hätten sterben sehen.“ Etwas „im Ton der Verrückten“ ließ aufhorchen, diese Leute meinten wortwörtlich, was sie sagten, „ein neues Meteorgestein schien auf die Erde herabgefallen zu sein. Mit seltsamer Plötzlichkeit (…) schienen sich in Gegenwart dieser Menschen die Proportionen aller Dinge zu verschieben.“ Mit Weihnachten und mit Ostern war die Welt eine andere geworden. Tod war nicht mehr Tod und die Freude darüber unüberwindlich.

Zu Bethlehem im Stall – in einer Höhle, wie Chesterton seit seiner Reise ins Heilige Land nicht müde wurde zu betonen, – geschah tatsächlich Wunderbares, eine „Umwälzung der Welt (…) Mit voller Berechtigung darf man behaupten, dass es von der Sekunde an keine Sklaven mehr geben konnte. (…) Zukünftig konnte ein Mensch nicht mehr bloßes Mittel zum Zweck sein, auf keinen Fall Mittel zu eines anderen Menschen Zweck.“

Gott war schließlich herabgestiegen „wie ein Ausgestoßener“, hatte sich den Hirten in einer Höhle gezeigt, nicht an einer Akademie. So entstand das Christentum als Religion der kleinen Dinge und der kleinen Leute. Genau so musste es kommen, denn Gott ist der Mittelpunkt aller Welt, „und ein Mittelpunkt ist unendlich klein.“

Papst Pius XI. verlieh Chesterton, diesem modernen Kirchenvater, posthum den Titel Defensor fidei, Verteidiger des Glaubens. Die kaum zu zählenden Weihnachtsbetrachtungen Chestertons zeigen auf das Schönste, warum er diesen Titel verdient.

(erschien zuerst in der Tagespost vom 22.12.2011)

Privacy Settings
We use cookies to enhance your experience while using our website. If you are using our Services via a browser you can restrict, block or remove cookies through your web browser settings. We also use content and scripts from third parties that may use tracking technologies. You can selectively provide your consent below to allow such third party embeds. For complete information about the cookies we use, data we collect and how we process them, please check our Privacy Policy
Youtube
Consent to display content from Youtube
Vimeo
Consent to display content from Vimeo
Google Maps
Consent to display content from Google