Monthly Archives: Januar 2020

Robert Habeck, Donald Trump und was durch die Birne rauscht

Woran erkennt man eine gute Rede? Die Kunst, eine gute Rede zu halten, ist rar gesät. Man schaue in den Deutschen Bundestag, in Talkshows, auf Hauptversammlungen. Da werden Worte aneinander geklöppelt und Begriffe verklappt in der vagen Hoffnung, man werde irgendwie verstanden. Sätze, die ihr Prädikat finden, Ausdrücke, die das Gemeinte zutreffend benennen, der richtige Fall und die richtige Zahl sind Luxusübungen, dies- und jenseits der amtierenden Bundeskanzlerin, die, wie ich einmal unvorsichtigerweise schrieb, des Deutschen nicht kundig ist. Der Gegenbeweis wird gewiss morgen eintreffen, immer morgen.

Robert Habeck redet sich in Davos in Rage (Screenshot)

Doch das ist die Klage vergangener Tage, jammern wir nicht. Heute ist heute, ist ein optisch so formschönes Jahr namens 2020. Die zweifache Zwanzig verheißt Ebenmaß, Vollkommenheit und einen Hauch Ironie. Es ist das Jahr, da wir uns doppelt sehen. Insofern mag es ein passender Jokus sein, wenn auf den einen Ruin der nächste folgt. Man muss heute nicht nur unfähig sein, eine gute Rede zu halten; man muss auch unfähig sein, eine gute Rede zu erkennen. Küren wir also Robert Habeck zum ersten Helden der Klasse von 2020. Der grüne Ko-Vorsitzende, der mit seinem Rasiergerät erkennbar in einer On-Off-Beziehung lebt, beschied eine Journalistin nach der heutigen Rede Donald Trumps auf dem Weltwirtschaftsforum von Davos, der Robert Habeck vermutlich beiwohnte: Das sei die schlechteste Rede, die er in seinem Leben gehört habe.

Davon abgesehen, dass Robert Habeck damit zugab, bei der letzten Bundesdelegiertenkonferenz der eigenen Partei – sagt man Parteitag? – Power Napping praktiziert zu haben, hat Robert Habeck andere als die gewöhnlichen Vorstellungen einer guten Rede. Gut ist demnach nicht eine Rede, die unbeschadet des Inhalts ihre rhetorischen Mittel wirkungsvoll einzusetzen vermag, eine Rede, die gut gegliedert ist und pointiert formuliert, eine Rede, die verstanden wird und nachhallt und zum Widerspruch reizt. Nein! Gut ist nunmehr eine Rede, die nah gebaut ist am Wertespeicher der Grünen. Gut ist eine Rede, die sagt, was Robert Habeck denkt, nur in anderen Worten. Gut ist eine Rede, die Robert Habecks Erwartungen erfüllt. Wir müssen eingestehen: Dann war es tatsächlich eine schlechte Rede, die der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika in der Schweiz hielt.

Der Kardinalfehler aus Robert Habecks Sicht bestand darin, dass Donald Trump tat, was jeder gute Redner tun muss: sich des Anlasses und des Publikums seiner Rede zu vergewissern. Donald Trump ging davon aus, dass auf einem Weltwirtschaftsforum Fragen der Weltwirtschaft besprochen werden. Dass vor Ökonomen, Managern und Politikern ökonomisch geredet werden solle. Donald Trump ging davon aus, dass er nicht den Arbeitskreis Nachhaltigkeit der grünen Ortsgruppe Dinslaken vor sich hat, sondern volkswirtschaftlich geschulte Entscheidungsträger, die Brutto von Netto unterscheiden können und Arbeitslosigkeit von Beschäftigung. Da geriet er bei Robert Habeck an den Falschen. Der deutsche Totalverriss für Trumps Rede war ein ehrliches Statement. Robert Habeck zeigte sich als guter Deutscher, und guten Deutschen sind wirtschaftliche Zusammenhänge schnuppe. It’s the Haltung, stupid – das war das Motto von Robert Habecks Gegenrede.

Ja, natürlich: Donald Trump beherrscht nichts so gut wie Selbstlob. Es war zu zwei Dritteln eine Wahlkampfrede für das heimische Volk, die Donald Trump in Davos hielt. Jede nach Millionen zählende Wählergruppe wurde bedacht. Jeder dieser Gruppen kann nun einen Schnipsel dieser Rede in ihren sozialen Kanälen verbreiten: die Gering- und die Vielverdiener, die Familien und die Alleinerziehenden, die Weißen, die Latinos und die Afroamerikaner in einer „inklusiven Gesellschaft“, die Katholiken und die Evangelikalen und die Unternehmer und die Gewerkschafter. In summa: „Der amerikanische Traum ist zurück, größer und stärker als je zuvor. (…) Der Wohlstand der USA lässt sich nicht leugnen und ist beispiellos in der Welt.“ Doch die Wette biet ich: Es war nicht das protzende Selbstlob, das Robert Habeck auf die Palme brachte. Es waren die im letzten Drittel explizit gemachten und zuvor implizit vorhandenen weltanschaulichen Grundentscheidungen Donald Trumps, die allem zuwider laufen, wofür Robert Habeck kämpft. Darum lohnt sich ein Blick auf das Normengerüst eine Rede, die, soweit ich sehe, in ihrem normativen Gehalt bisher nicht bewertet und darum in ihrem Kern verfehlt wurde.

Das Normengerüst von Trumps Davoser Rede sieht so aus – und weil es so aussieht, musste der gute Deutsche Robert Habeck hernach den Alarmknopf drücken: Der Wohlstand einer Nation beruht auf dem Wohlergehen des Mittelstands. Steuersenkungen setzen unternehmerische Initiativen frei. Pessimismus lähmt den Menschen. Einschränkungen der Freiheit sind begründungspflichtig, die Freiheit selbst ist es nicht. Bürokratie kostet Arbeitsplätze. Den Mittelpunkt aller Politik bilden „Bürger mit ihren Familien“, nicht die Belange des Staates. Außenpolitik beruht auf widerstreitenden nationalen Interessen. Der „menschliche Geist“ kann Ewiges erschaffen. Untergangsszenarien verdummen. Sozialismus ist Geschichte. Gott gibt es.

Lang und breit ließe sich darüber streiten, was taktisch war an Trumps Davoser Rede, was strategisch, was innere Überzeugung, was äußere Notwendigkeit. Und wie all das mit Trumps praktischer Politik in Verbindung steht. Robert Habeck machte ein anderes Fass auf und muss es sich gefallen lassen, in dieses getunkt zu werden. Ergo: Donald Trump hielt nach allen Kriterien, die wir bisher kannten, eine gute Rede. Robert Habeck setzte übellaunige Authentizität dagegen, einen inneren Dreitagebart. Trump habe „Missachtung von allen Leuten“ gezeigt und „keine Wahrnehmung für globale Probleme“. Es sei nötig, „das System komplett [zu] ändern“, mutmaßlich das Wirtschaftssystem, das wir Kapitalismus nennen oder soziale Marktwirtschaft oder Demokratie.

So zeigte sich in einer Deutlichkeit, die kein Drehbuchschreiber hätte erfinden können: Haltung frisst Hirn und lässt Zorn gedeihen. Robert Habeck muss schließlich Donald Trump als seinen „Gegner“ identifizieren. Im Freund-Feind-Denken endet, was als Liebe zur Natur begann. Im intellektuellen Bellizismus, was als politischer Pazifismus anfing. Robert Habeck ist von sich berauscht und macht keine Gefangenen.

Postscriptum: Robert Habeck schreibt Unterhaltungsbücher, zusammen mit seiner Ehefrau. In einem steht der Satz, Deutschland schaue von oben aus wie ein ausgekippter Mülleimer. Donald Trump verstünde diesen Satz nicht.

Deutschland, Joe Kaeser und entführte Hirne

Kann man Hirne entführen? Daran und an Richard Dawkins musste ich denken, als ich las, was man so liest in diesen Tagen. Mullah-Versteher hatten ihren Auftritt und bekamen ihre Sendezeit, Mietendeckelverfechter, Buschbranddeuter, Strompreiserhöhungsfans und Enteignungsbefürworterinnen. Und dann war da noch das platonische Werben eines Münchner Dax-Vorstands um ein Jungmitglied der Grünen; sie, die Umworbene, Neubauer mit Nachnamen, als #Langstreckenluisa zu bitterem Netzwerkruhm gelangt, lehnte ab. Sie sei, stand zu lesen, damit ausgelastet, die Welt zu retten. „Irgendwelche Aufsichtsratsgeschichten“ stören da. Pech für Josef, genannt Joe, Kaeser, den Top-Arbeitnehmer der Siemens AG.

Foto: A. Kissler

Richard Dawkins kam mir in den Sinn, weil ich dessen Werke vom „Egoistischen Gen“ und vom „Gotteswahn“ konsultierte, als ich 2008 mein Buch über den „Aufgeklärten Gott“ schrieb. Dawkins sah ich unter den vielen Neoatheisten der damaligen Zeit am kritischsten. Das lag neben seiner zynischen Weise, in der er über Gläubige sprach, an Dawkinsʼ Kernthese: Der Glaube kapere die Hirne der Menschen – der Kinder vor allem. Dawkins wollte biologisch begründen, was er intellektuell nicht aus der Welt bekam. Dem Glauben verlieh er eine materielle Basis, erklärte ihn zum „Mem“ oder zum „geistigen Virus“. So beging er in meinen Augen einen schlimmen Kategorienfehler. Geist und Materie – Schiller sprach rund 200 Jahre früher vom Stoff- und vom Formtrieb – vermengte er. Als ließen sich Gedanken wiegen, Träume fotografieren, Hoffnungen messen. Das geht nicht.

Vielleicht muss ich Abbitte leisten. Zumindest ein wenig. Ich blättere in meinem „Aufgeklärten Gott“, durchstöbere den „Gotteswahn“ und finde die Formulierung von den entführten Hirnen nicht. Vielleicht schob ich mit dieser Prägung verschiedene Lektüren zusammen. Dennoch scheint es mir ein sinnvoller Ausdruck. Zumal ich bei Dawkins lese: „Anthropologische Übersichtsdarstellungen (…) machen deutlich, dass es unter den Menschen eine beeindruckende Vielfalt irrationaler Überzeugungen gibt. Einmal in einer Kultur verwurzelt, können sie sich halten, weiterentwickeln und immer vielgestaltiger werden – ein Vorgang, der stark an die biologische Evolution erinnert.“ Außerdem: „Unter anderem will ich damit sagen, dass es keine Rolle spielt, welche besondere Form von Unsinn das Kindergehirn befällt. Einmal angesteckt, wächst das Kind auf und infiziert die nächste Generation mit dem gleichen Unsinn, wie er auch aussehen mag.“

Wie gesagt, Dawkins meinte mit „irrationalen Überzeugungen“ und „Unsinn“ religiöse Gebote und theologische Dogmen. Sie stehen nach seiner Auffassung der Entwicklung des Menschen zur Mündigkeit entgegen, pflanzen sich aber dennoch fort. Das ärgert den Evolutionsbiologen, weshalb er sich die Weitergabe der Religion als biologischen Vorgang denkt. Das Gehirn, ließe sich mit Dawkins sagen, wird von Kindesbeinen an deformiert, sodass ihm später Unsinn als sinnvoll erscheint. Es kann ihn gar nicht mehr hinterfragen. Das Gehirn bleibt – in meinen Worten – entführt.

Stellen wir uns kurz vor, Richard Dawkins hätte Recht – gerade progressive, linke Köpfe nicken da schneller, als es dieser These und ihrem eigenen Hirn guttut. Aber stellen wir uns das wirklich einmal versuchshalber vor: Es gäbe ganz handfeste, stoffliche Komplexe von Ideen und Vorstellungen, die dem Gehirn eingeschrieben wurden. Und dass uns (oder vielen oder manchen) die materiellen Möglichkeiten fehlten, sie zu korrigieren. Dass wir (oder viele oder manche) in einem Wahn gefangen sind, der als Ausdruck von Vernunft erscheint, weil das Gehirn so programmiert wurde. Dawkins öffnet die Spur, wenn er ausdrücklich vom „Unsinn, wie er auch aussehen mag“, schreibt. Wie schaut er heute aus, der Unsinn?

Damit wären wir bei den Schlagzeilen gelandet, bei Mullah-Verstehern, Mietendeckelverfechtern, Buschbranddeutern, Strompreiserhöhungsfans, Enteignungsbefürworterinnen und einem Vorstandsvorsitzenden auf Haltungsbrautschau. So unterschiedlich die Schlagzeilen sein mögen, dahinter verbirgt sich eine quasireligiöse Weltanschauung von enormer Bindekraft. Die neuen Dogmen lauten: Der Westen hat sich blamiert, die USA sind böse, der Kapitalismus ist gescheitert. Der Staat muss Gerechtigkeit verordnen, Privateigentum ist Diebstahl, Klimanot kennt kein Gebot. Wie bei allen Dogmen gibt es Abstufungen in der Art, wie man sie praktisch ernst nimmt. Wer sie aber grundsätzlich bezweifelt, trifft auf das geballte Gegenfeuer entführter Gehirne – um im Sprachbild zu bleiben.

Die neuen Dogmen sind legitime Meinungsäußerungen. Mehr nicht. Die jeweilige Gegenmeinung ist und wäre auch legitim. Das pauschale Unverständnis, auf das ein Kontra oft stößt, lässt Dawkins für einen Augenblick plausibel erscheinen. Es scheint, als fehlte an zu vielen Stellen unserer Gesellschaft, unserer Politik, unserer Wirtschaft nicht nur die Bereitschaft, sondern auch die Fähigkeit, Gedanken mit Gedanken zu beantworten. Als mangelte es an der nötigen Voraussetzung, auf Kritik schöpferisch zu reagieren. Als herrschte eine Generation, die in behüteter Fraglosigkeit aufwuchs und sich darum alles Fragen verbittet. Als wäre Moral die Bringschuld der anderen, während man selbst sie unkündbar gepachtet habe.

Zu vieles versteht sich von selbst und wird darum missverstanden. Zu wenig wird hinterfragt, weil Fragen als Moralvergehen gilt. Zu viele wissen Bescheid, zu wenige haben Ahnung. Zu selten wird argumentiert, zu oft verdammt. Wir leben in keiner Gesellschaft der Echokammern. Wir leben in einer Welt, in der Echos unerwünscht sind. Unterscheidung der Geister, Befreiung des Geistes: das sollte Gebot der Stunde sein.

Besoldungskünstler von der Isar

Freising ist ein schöner Ort. In dem oberbayrischen Städtchen wirkte der große Bischof, Zisterziensermönch und Historiker Otto – Otto von Freising. Unweit des Domes steht ein Denkmal, das an Otto erinnert. Dessen Hauptwerk heißt „Chronik oder die Geschichte der zwei Staaten“. Nach einem Denkmal des jetzigen Freisinger Erzbischofs wird man dereinst vergeblich suchen. Dabei hat auch Reinhard Marx Bücher geschrieben. Seine Dissertation von 1989 heißt „Ist Kirche anders? Möglichkeiten und Grenzen einer soziologischen Betrachtungsweise“, sein populäres Sachbuch von 2008 „Das Kapital. Ein Plädoyer für den Menschen“. Einerseits: Ha, ha. Marx und der Kapitalismus. Ha, ha. Andererseits: Es ist zum Traurigwerden, Verrücktwerden, Fremdschämen.

Die Türme der Münchner Frauenkirche (hinten). Foto: H. P. Rabit

Der Freisinger Bischof der Jahre 1138 bis 1158 stellte in seiner „Chronik“ Weltgeschichte als Heilsgeschichte dar, als Kampf zwischen der civitas Dei und der civitas terrena, himmlischem und weltlichem Staat. Die Kategorien sind erkennbar von Augustinus inspiriert. Reinhard Marxens Doktorarbeit ist unlesbar. Um gerecht zu sein: Lesen kann man sie schon, aber es ist eines jener Bücher, aus denen man dümmer heraus- als hineinschaut. Was man gar nicht allein dem jetzigen Freisinger Erzbischof anlasten kann. Es ist eine soziologische Arbeit. Ihrem Genre hält sie durch angeschlaumeierte Verquastheit die Treue. Weder Theologie noch Geschichte sind die Interessensfelder des Reinhard Marx.

An all das und auch an meine erste historische Proseminar-Arbeit über Otto von Freising und den „Zerfall der Welt“ musste ich denken, als mir ein Satz unterkam, den ich leider nicht vergessen kann. Es sei also gewarnt. Der Satz lautet: „Ich weiß, wie groß die Probleme des vergangenen Jahrzehnts waren, und sie werden künftig nicht kleiner werden.“ Natürlich ist das ein harmloser Satz, ein kleiner Satz, ein Nebensatz. Doch er führt hinein in die Selbst- und Weltwahrnehmung des Erzbischofs, für die mir kein besseres Wort einfällt als ambitiös. Reinhard Marx hat ein ambitiöses Verhältnis zur Wirklichkeit.

Der Satz fiel in der Silvesterpredigt. Da stand also ein augenscheinlich pumperlgsunder, gut genährter Berufsprediger der Besoldungsklasse B10 – immerhin 13231 Euro brutto im Monat, überwiesen vom bayrischen Staat – und teilte seinen Schäfchen mit, dass er erstens in die Zukunft zu schauen vermöge und dass er zweitens da nichts Gutes erblicke. Die Gegenwart – die Gegenwart des Publikums – sei schon in den vergangenen zehn Jahren durch „Probleme“ gekennzeichnet gewesen, und daran werde sich nichts ändern. Bestenfalls. Vielleicht werde es sogar schlimmer. „Nicht kleiner“ würden die Probleme. Liebe Gemeinde, gewöhnt euch dran. So ist es halt.

Luther wusste die Welt voller Teufel, Marx sieht sie voller Probleme. Ein Problem ist ein Sinnhindernis, das im Weg steht. Es verknotet verschiedene Aussagen oder Ansprüche, mindestens deren zwei. Was sollen die Katholiken tun, um es aus dem Weg zu räumen? Reinhard Marx empfahl in seiner Silvesterpredigt: Habt mehr Phantasie! Habt „große Lust, Neues zu denken“. Das kann man zynisch nennen – denn was immer man mit kirchlich verordneter Phantasie auch anstellen mag, die Probleme bleiben ja. Marx hat ihnen gerade eine Bestandsgarantie gegeben. Andererseits ist es ein riskanter Rat, den der Prediger in persona falsifiziert. War vom jetzigen Freisinger Erzbischof je Neues zu hören, das sich einem Denkprozess verdankte, vielleicht gar einem theologischen? Soweit ich sehe: Nein. Wo Marx redet, da redet die Gesellschaft wie die Gesellschaft zur Gesellschaft. Da werden moralische In-sich-Geschäfte abgeschlossen zum höheren Ruhme des handelnden Akteurs. Da kommt die Welt in ihr loderndes Einverständnis.

Zum Beispiel hat Reinhard Marx gerade zum dritten Mal 50000 Euro „gespendet“ für die „Seenotrettung“ im Mittelmeer. Es waren 50000 Euro im Oktober 2018 für „Lifeline“ – jenen Verein, der gerade bei Twitter den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz als „Baby-Hitler“ verunglimpfte. Es waren 50000 Euro Anfang 2019 für „Sea-Eye“, und es sind nun 50000 Euro für das Bündnis „United 4 Rescue“, das der Organisation „Sea-Watch“ ein Schiff schenken will. Freilich: Marx hat nicht gespendet. Er hat Gelder, die seinem Bistum zuflossen, umgewidmet. Er hat die Mittel anderer Leute, der Kirchensteuerzahler vor allem, verwendet, um auf der Drehbühne des täglichen Moraltheaters ins Schweinwerferlicht der guten Gesinnung zu rücken. Das ist nicht mutig, das ist wohlfeil. Das ist so phantasielos, dass es kracht. Kein Serienschauspieler, der etwas auf sich hält, kommt heute ohne öffentlich hinaus posaunte Spendentätigkeit aus. Mit dem Unterschied, dass Serienschauspieler das Geld, das sie weiterreichen, zuvor selbst verdienen müssen.

Wer Neues denken will, der müsste dem Besoldungskünstler von der Isar sagen: Probier’s mal ohne Kirchensteuer! Lass dich mal nicht vom Staat bezahlen! Red‘ mal nicht von dir oder der Gesellschaft! Fühl‘ dich mal nicht als Prophet der eigenen Denkungsart! Sei weniger selbstgewiss, weniger dreist, weniger ambitiös. Denn Ambitionen, steht zu befürchten, stecken hinter den Haupt- und Nebensätzen, den Neben- und Staatsaktionen einer finanziell verfetteten Kirche, für die ein Freisinger Bischof eben doch nur ein Symbol ist. Die Ambitionen lauten auf Sichtbarkeit, Applaus und Selbstergriffenheit. Auf Augenhöhe mit den Großen und Abspeisen der Kleinen: Wer Probleme hat, der wird sie auch behalten. Eure Phantasielosigkeit ist nicht mein Problem.

Otto von Freising gründete Klöster. Reinhard Marx gründet Arbeitskreise. 

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