Der Geist hat keine Lobby, und davon profitiert nur die Geistlosigkeit. Ohne Geist nämlich keine Begeisterung, ohne Begeisterung keine Daseinsfreude, ohne Daseinsfreude keine schöpferische Kraft und ohne schöpferische Kraft keine Zukunft. Der Mensch dieser Tage hat sich eingekapselt in ewiger Gegenwart, weil er dem Geist nichts mehr zutraut und vom Morgen nichts erwartet oder nur Schlechtes. Weil er nicht sein will, was er ist: ein geistiges Wesen.

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Am viel zu oft, viel zu leicht zitierten Satz vom Geist, der wehe, wo er will, ist das Wollen die Pointe. Der Geist hat demnach einen Willen. Der Stoff hat, frei nach Adorno, seine Tendenz, der Geist aber seinen Willen. Wer sich je entflammen ließ von einem Lied, einem Gedicht, einer Erzählung, der spürt die Wirkungen des Geistes ganz körperlich. Geist sucht Verbündete, es gibt ihn nicht im Monolog. Geist ist sich selbst nie genug. Er ist die Kraft, die bejaht, die Energie, die verbindet, ein Echo für uns. Geistlos ist ebenso das Unrhythmische wie das Monotone. Die Maschine hat keinen Geist, und ein Mensch würde geistlos, wollte er nur funktionieren. Oder anderen nur ein Funktionieren abverlangen, mal in ökonomischer, mal in politischer, mal in ideologischer Hinsicht. Keine Freiheit ohne Geist, kein Geist ohne Freiheit.

Den Geist drängt es nach vorne, er ist kein Besitzstandswahrer und darum in Deutschland ein Fremdling. Damit der Geist wehen kann, muss der Mensch das Gatter der Gewöhnung verlassen. Stabilitätsnarren können gute Untertanen sein, aber nur schlechte Freiheitswesen. Unmöglich, wie es phrasenhaft heißt, kann Zukunft gewonnen werden, wenn man sie als Rechenexempel deutet oder bloße Fortsetzung der Gegenwart oder Übung im Gehorsam. Was immer der Geist im Einzelnen wollen mag: die gerade Linie will er nicht. Dass Überraschungen zum Guten ausschlagen können und Zukunft kein Drohwort ist, ist die Kernbotschaft des Geistes.

Neben der Kunst sollten auch Politik und Wissenschaft sich den Zumutungen des Geistes öffnen. Wer forscherische Neugier und freies Denken skandalisiert, darf sich nicht wundern, wenn er eine geistferne Politik erntet, eine Politik, in der alles „auf Kante genäht“ ist und „auf Sicht“ gefahren wird, eine Politik, in der die Exekutive zu ihrem Souverän wie mit einem begriffsstutzigen Erziehungsberechtigten spricht: „Unsere gemeinsame Leistung ist nämlich das, was bei uns glücklicherweise nicht eingetreten ist. (…) Freuen wir uns über alles, das jetzt wieder geht, und nutzen wir es. (…) Wenn wir das hinbekommen, (…) das wäre was.“ Kein Geist kann solches Lallen wollen.

Bei Rudolf Kassner heißt es, der Mensch ohne Rhythmus sei der Fanatiker. Vom Mensch ohne Geist gilt der Zusammenhang erst recht. Es gibt auch einen Fanatismus der Mittelmäßigkeit. Der Mittelmäßige, so Kassner, habe keinen „Bezug auf sich selber als auch auf den Gegenstand, oder er kann diesen Bezug nur durch Übertreibung finden.“ Wir alle sind vor Bequemlichkeit und Mittelmäßigkeit nicht gefeit. Wo wir uns aber an diese gewöhnen und uns nicht heraustreiben lassen aus uns und aus dem Bestehenden, da wächst sich Geistlosigkeit zum Ungeist aus. Auch deshalb: Keine Angst vor dem Geist, keine Scheu vor dem Morgen, keine Panik vor der Freiheit.