Robert Habeck, Donald Trump und was durch die Birne rauscht
Woran erkennt man eine gute Rede? Die Kunst, eine gute Rede zu halten, ist rar gesät. Man schaue in den Deutschen Bundestag, in Talkshows, auf Hauptversammlungen. Da werden Worte aneinander geklöppelt und Begriffe verklappt in der vagen Hoffnung, man werde irgendwie verstanden. Sätze, die ihr Prädikat finden, Ausdrücke, die das Gemeinte zutreffend benennen, der richtige Fall und die richtige Zahl sind Luxusübungen, dies- und jenseits der amtierenden Bundeskanzlerin, die, wie ich einmal unvorsichtigerweise schrieb, des Deutschen nicht kundig ist. Der Gegenbeweis wird gewiss morgen eintreffen, immer morgen.
Doch das ist die Klage vergangener Tage, jammern wir nicht. Heute ist heute, ist ein optisch so formschönes Jahr namens 2020. Die zweifache Zwanzig verheißt Ebenmaß, Vollkommenheit und einen Hauch Ironie. Es ist das Jahr, da wir uns doppelt sehen. Insofern mag es ein passender Jokus sein, wenn auf den einen Ruin der nächste folgt. Man muss heute nicht nur unfähig sein, eine gute Rede zu halten; man muss auch unfähig sein, eine gute Rede zu erkennen. Küren wir also Robert Habeck zum ersten Helden der Klasse von 2020. Der grüne Ko-Vorsitzende, der mit seinem Rasiergerät erkennbar in einer On-Off-Beziehung lebt, beschied eine Journalistin nach der heutigen Rede Donald Trumps auf dem Weltwirtschaftsforum von Davos, der Robert Habeck vermutlich beiwohnte: Das sei die schlechteste Rede, die er in seinem Leben gehört habe.
Davon abgesehen, dass Robert Habeck damit zugab, bei der letzten Bundesdelegiertenkonferenz der eigenen Partei – sagt man Parteitag? – Power Napping praktiziert zu haben, hat Robert Habeck andere als die gewöhnlichen Vorstellungen einer guten Rede. Gut ist demnach nicht eine Rede, die unbeschadet des Inhalts ihre rhetorischen Mittel wirkungsvoll einzusetzen vermag, eine Rede, die gut gegliedert ist und pointiert formuliert, eine Rede, die verstanden wird und nachhallt und zum Widerspruch reizt. Nein! Gut ist nunmehr eine Rede, die nah gebaut ist am Wertespeicher der Grünen. Gut ist eine Rede, die sagt, was Robert Habeck denkt, nur in anderen Worten. Gut ist eine Rede, die Robert Habecks Erwartungen erfüllt. Wir müssen eingestehen: Dann war es tatsächlich eine schlechte Rede, die der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika in der Schweiz hielt.
Der Kardinalfehler aus Robert Habecks Sicht bestand darin, dass Donald Trump tat, was jeder gute Redner tun muss: sich des Anlasses und des Publikums seiner Rede zu vergewissern. Donald Trump ging davon aus, dass auf einem Weltwirtschaftsforum Fragen der Weltwirtschaft besprochen werden. Dass vor Ökonomen, Managern und Politikern ökonomisch geredet werden solle. Donald Trump ging davon aus, dass er nicht den Arbeitskreis Nachhaltigkeit der grünen Ortsgruppe Dinslaken vor sich hat, sondern volkswirtschaftlich geschulte Entscheidungsträger, die Brutto von Netto unterscheiden können und Arbeitslosigkeit von Beschäftigung. Da geriet er bei Robert Habeck an den Falschen. Der deutsche Totalverriss für Trumps Rede war ein ehrliches Statement. Robert Habeck zeigte sich als guter Deutscher, und guten Deutschen sind wirtschaftliche Zusammenhänge schnuppe. It’s the Haltung, stupid – das war das Motto von Robert Habecks Gegenrede.
Ja, natürlich: Donald Trump beherrscht nichts so gut wie Selbstlob. Es war zu zwei Dritteln eine Wahlkampfrede für das heimische Volk, die Donald Trump in Davos hielt. Jede nach Millionen zählende Wählergruppe wurde bedacht. Jeder dieser Gruppen kann nun einen Schnipsel dieser Rede in ihren sozialen Kanälen verbreiten: die Gering- und die Vielverdiener, die Familien und die Alleinerziehenden, die Weißen, die Latinos und die Afroamerikaner in einer „inklusiven Gesellschaft“, die Katholiken und die Evangelikalen und die Unternehmer und die Gewerkschafter. In summa: „Der amerikanische Traum ist zurück, größer und stärker als je zuvor. (…) Der Wohlstand der USA lässt sich nicht leugnen und ist beispiellos in der Welt.“ Doch die Wette biet ich: Es war nicht das protzende Selbstlob, das Robert Habeck auf die Palme brachte. Es waren die im letzten Drittel explizit gemachten und zuvor implizit vorhandenen weltanschaulichen Grundentscheidungen Donald Trumps, die allem zuwider laufen, wofür Robert Habeck kämpft. Darum lohnt sich ein Blick auf das Normengerüst eine Rede, die, soweit ich sehe, in ihrem normativen Gehalt bisher nicht bewertet und darum in ihrem Kern verfehlt wurde.
Das Normengerüst von Trumps Davoser Rede sieht so aus – und weil es so aussieht, musste der gute Deutsche Robert Habeck hernach den Alarmknopf drücken: Der Wohlstand einer Nation beruht auf dem Wohlergehen des Mittelstands. Steuersenkungen setzen unternehmerische Initiativen frei. Pessimismus lähmt den Menschen. Einschränkungen der Freiheit sind begründungspflichtig, die Freiheit selbst ist es nicht. Bürokratie kostet Arbeitsplätze. Den Mittelpunkt aller Politik bilden „Bürger mit ihren Familien“, nicht die Belange des Staates. Außenpolitik beruht auf widerstreitenden nationalen Interessen. Der „menschliche Geist“ kann Ewiges erschaffen. Untergangsszenarien verdummen. Sozialismus ist Geschichte. Gott gibt es.
Lang und breit ließe sich darüber streiten, was taktisch war an Trumps Davoser Rede, was strategisch, was innere Überzeugung, was äußere Notwendigkeit. Und wie all das mit Trumps praktischer Politik in Verbindung steht. Robert Habeck machte ein anderes Fass auf und muss es sich gefallen lassen, in dieses getunkt zu werden. Ergo: Donald Trump hielt nach allen Kriterien, die wir bisher kannten, eine gute Rede. Robert Habeck setzte übellaunige Authentizität dagegen, einen inneren Dreitagebart. Trump habe „Missachtung von allen Leuten“ gezeigt und „keine Wahrnehmung für globale Probleme“. Es sei nötig, „das System komplett [zu] ändern“, mutmaßlich das Wirtschaftssystem, das wir Kapitalismus nennen oder soziale Marktwirtschaft oder Demokratie.
So zeigte sich in einer Deutlichkeit, die kein Drehbuchschreiber hätte erfinden können: Haltung frisst Hirn und lässt Zorn gedeihen. Robert Habeck muss schließlich Donald Trump als seinen „Gegner“ identifizieren. Im Freund-Feind-Denken endet, was als Liebe zur Natur begann. Im intellektuellen Bellizismus, was als politischer Pazifismus anfing. Robert Habeck ist von sich berauscht und macht keine Gefangenen.
Postscriptum: Robert Habeck schreibt Unterhaltungsbücher, zusammen mit seiner Ehefrau. In einem steht der Satz, Deutschland schaue von oben aus wie ein ausgekippter Mülleimer. Donald Trump verstünde diesen Satz nicht.