Foto: A. Kissler

Irgendwann steht kein Bett mehr im Kornfeld, sind sieben Fässer Wein ausgetrunken, ist die Fiesta Mexicana vorbei und wartet niemand mehr ganz in weiß mit einem Blumenstrauß. Nur Olaf Scholz steht noch immer an einem Pult, im Reichstagsgebäude oder anderswo, und redet und tut, was Jürgen Drews, Roland Kaiser, Rex Gildo und Roy Black nicht mehr täten, und gibt seine liebste Coverversion von anno dunnemals zum Besten.

Der deutsche Bundeskanzler ist am 28. November des Jahres 2023 in die Epoche seines Nachlebens eingetreten. Er wird von Stund an sein, wie er einmal gewesen sein wollte. Das anzusehen, schmerzt. Denn Olaf Scholz könnte noch zwei zähe Jahre Kanzler der Bundesrepublik Deutschland sein und also der Politiker mit dem Sprung in der Platte bleiben.

Am drittletzten Tag des Novembers 2023 gestaltete Olaf Scholz eine Regierungserklärung als Medley seiner wenn nicht beliebtesten, so doch bekanntesten Hits. Vom „Unterhaken“ war abermals die Rede, abermals auch von der „Transformation unserer Wirtschaft“ und der „klimaneutralen Welt“. Vor allem aber zitierte Olaf Scholz Olaf Scholz, wie er Gerry and the Pacemakers zitierte, die wiederum den Komponisten Richard Rodgers zitierten. So kompliziert sind die Herkunftsverhältnisse der Fußballhymne „You never walk alone“.

Olaf Scholz sagte am 28. November 2023 unter der vom Sonnenlicht gleißenden Berliner Reichtstagskuppel: „’You’ll never walk alone‘, das habe ich im vergangenen Jahr versprochen, und dabei bleibt es.“ Versprochen hatte Olaf Scholz es damals den von staatlichen Anticoronavirusmassnahmen gebeutelten Bürgern. Ob diese aber am Fiskalband der Bundesregierung gerne und gut durch das pandemische Grusical liefen, sei dahingestellt.

Olaf Scholz auf jeden Fall rechnet sich die „umfangreichen Coronahilfen“ der zurückliegenden Jahre wie jede von ihm verantwortete politische Entscheidung hoch an: „So und nur so ist Deutschland besser durch diese Jahrhundertpandemie gekommen als viele andere Länder.“

Im „Nur so“ liegt die ganz Tragik eines alternden Revivalkünstlers beschlossen: Er hat den Song gelernt, er ist textsicher, aber eben nur in der Weise von ehedem. Er haucht die Vokale und gurrt mit den Konsonanten, weil das Hauchen und Gurren seine Rolle ausmacht und er keine andere beherrscht.

Olaf Scholz stand da am 28. November 2023 mit Patina in Blick und Stimme und beharrte trotzig auf der Unvergleichlichkeit seiner Rede. Er wich nicht ab, er lernte nicht dazu, er ging nicht in sich, denn er muss sich entäußern auf die immer selbe Art: Hier steht er, der Kanzler, und hat alles richtig gemacht, gestern, heute, morgen. Keine andere Melodie kommt ihm von den Lippen.

Der Kanzler ist Gefangener seiner Rolle. Er sitzt fest im Bild von sich selbst. Das Bundesverfassungsgericht hat seinen Haushalt verworfen, die Bevölkerung ist seiner überdrüssig, die Aussicht auf eine Wiederwahl schwindet ebenso rasch wie die Hoffnung auf einen Aufstieg Deutschlands aus dem konjunkturellen Tal. Nichts ficht Olaf Scholz an. Er kann nur sagen, was ein für allemal in ihn gelegt worden ist, er kann die Lippen nur spitzen zum identischen Song. Unterhaken, Transformieren, never alone. Und noch einmal, und wiederum.

Olaf Scholz kann nicht aus seiner Haut, mag sie auch nur lose zum Inhalt des Gesagten passen. Das ist komisch, das ist tragisch, das ist traurig. Eine Rede, die den Bund mit der Wirklichkeit gekündigt hat, wird Monolog und ist das Ergebnis von Autosuggestion.

Und Winde sammeln sich aus anderen Höhen, fernen Regionen, rütteln und schütteln an diesem kleinen Land inmitten Europas und könnten schon bald über es hinwegfegen, als wäre da nichts gewesen. Always alone.