Es muss alles getan werden
Krise ist immer. Jene Krise aber, die derzeit mannigfach Republik wie Globus beutelt, muss ein ganz besonderes Exemplar sein. Ihre Propheten und Profiteure bemühen sich nach Kräften, ein noch nie dagewesenes Krisenszenario zu zeichnen. Erstmalig, einzig, superlativisch nach allen Seiten sollen die kaum zählbaren Krisensymptome sein. Weltuntergang war gestern, Trümmerzeit und Panikalarm sind heute. Dafür spricht die Dauerpräsenz einer Floskel, ohne die heute keine Eröffnung eines Autobahnteilstücks und keine Ehrung verdienter Vereinsmitglieder mehr auskommt.
Der Bau des neuen Berliner Großflughafens droht sich zu verzögern. Der SPD-Landeschef Müller fordert deshalb, „es müsse jetzt alles getan werden, um den Termin trotzdem einzuhalten.“ Ein bayerischer SPD-Ortsverein leidet an schlechten Wahlresultaten. Ergo, so der Ortsvorsitzende, müsse „auch auf kommunaler Ebene alles getan werden, um in Zukunft bessere Ergebnisse zu erzielen.“
Der Präsident einer Technischen Universität sorgt sich um die Akzeptanz der technischen Wissenschaften; „deshalb muss alles getan werden, um in der Bevölkerung die Fähigkeit zur Risikoabschätzung durch verbessertes Wissen zu schärfen.“ Der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes freut sich über die Rückkehr des Wolfes nach Bayern. Jetzt „muss alles getan werden, um das Tier vor störenden Einflüssen von außen zu bewahren.“
Der Hauptgeschäftsführer des Verbands der bayerischen Wirtschaft sorgt sich um den Wohnungsmarkt; „es muss alles getan werden, um neuen Wohnraum zu schaffen”. Um den Euro sorgt sich Jaques Delors. Deshalb „muss alles getan werden, die Spekulation einzugrenzen.“ Klaus Töpfer sorgt sich um den ölverseuchten Golf von Mexiko, darum „müsse alles getan werden, um alternative Energien zu entwickeln.“ Klaus Ernst von der „Linkspartei“ verlangt hingegen, „es müsse alles getan werden, um mehr Jobs zu schaffen.“ Und Angela Merkel ist sich sicher, „auf jeden Fall muss alles getan werden, dass der Klimaprozess nicht zum Stillstand kommt.“
Wenn die alarmierten Stimmen beim Wort genommen werden sollen, wenn alles wirklich alles wäre, dann müsste etwa Folgendes geschehen: Das Land Berlin zieht alle Gelder aus der Bildungspolitik ab, um einen Flughafen fristgemäß eröffnen zu können. Der SPD-Ortsverein kauft sich Stimmen, um bei der nächsten Wahl zu reüssieren. Die Regierung erklärt Technikfreude zum staatsbürgerlichen Pflichtfach von der Wiege bis zu Bahre. Alle Wälder werden in Schutzräume für Wölfe verwandelt, störende Tiere tötet man, störrische Waldbesitzer werden enteignet.
Der Staat verwendet seine Gelder nur, um Wohnungen zu bauen und Wohnungsmieten zu subventionieren; nötigenfalls werden die Bundeswehr aufgelöst, die Schulen geschlossen, die Straßen sich selbst überlassen. Spekulanten werden verhaftet, Wertpapierhandelshäuser verboten, Beziehungen zu freiheitsliebenden Staaten eingestellt. Sämtliche Steuern fließen in den Ausbau alternativer Energien oder aber in den zweiten Arbeitsmarkt und die Rüstung oder aber in die Haushalte all jener Staaten, die partout nicht genug mitmachen wollen beim „Klimaprozess“, von China bis Indien, Russland, Mikronesien.
Diese jeweils todsicheren Rezepte widersprechen einander, und jeder einzelne führte zum Kollaps des Gemeinwesens. Niemand, der heute „alles“ im Munde führt, meint auch „alles“. Er greift zur Floskel im vollen Bewusstsein, dass sie letztlich eine Lüge ist – dass sie dem Zweck dient, den Redner im besten Lichte dastehen, ihn als Mann oder Frau der Tat übergroß erscheinen zu lassen. Es ist ein Dezisionismus des Maulheldentums, unernst, lächerlich, deplatziert.
Vielleicht – wer weiß das schon – kommen tatsächlich einmal Zeiten, da eine gewaltige gemeinsame Kraftanstrengung nötig sein wird, um Frieden, Freiheit, Sicherheit zu erhalten. Vielleicht wird einmal wirklich jedem alles abverlangt werden. Dann werden wir jenen, die schon bei bayrischen Wölfen und Berliner Flughäfen und deutschen Hochhäusern zur allergrößten rhetorischen Kelle gegriffen haben, nicht glauben.
Dann werden wir unsere Lektion gelernt haben: Wo alles gefordert wird, da muss sich nichts ändern. Wer alles verlangt, erwartet nichts. Wenn alles getan werden muss, tut sich rein gar nichts. Heißa und hopsasa, weiter geht’s im alten Trott, juchhe.