Die Phrase kennt keine Sommerpause, und so waren auch die zurückliegenden Tage Festspiele im unaufhörlichen Platitüdenwettbewerb, den sie Politik nennen. Phrasen, wir erinnern uns, sind Begriffe, die sich entleert haben durch bedingungslosen Gebrauch, weshalb man sie ein scheinbar letztes Mal unter hohem moralischem Druck aufruft. Und noch einmal. Und abermals. Und wiederum. Am Ende, das nie kommt, reden wir ständig und verfehlen uns stets.

Foto: H. P. Rabit

Wenn Bundesfinanzminister Olaf Scholz von der SPD auf Schloss Meseburg erklärt, man wolle durch geeignete Maßnahmen „sicherstellen, dass es für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine Welt mit guten Arbeitsplätzen bleibt, die Respekt bieten“ – dann versteht und bezieht er Respekt falsch. Arbeitsplätze können keinen Respekt bieten, Respekt ist die nichtmaterielle Anerkennung für achtenswerte Leistung. Arbeit wird nach Maßgabe geltender Verträge bezahlt. Und wenn Bundesaußenminister Heiko Maas von der SPD die Ausrüstung der Bundeswehr zur „Frage des Respekts“ erklärt, macht er aus dem Selbstverständlichen, der zweckdienlichen und verfassungsgemäßen Bundeswehrausstattung, einen Gegenstand des Wünschens, der Gunst, der Option. Die Bundeswehr, heißt das, könnte verlottern, wenn sie keinen „Respekt“ mehr in den Augen des Außenministers verdient. Bei Licht betrachtet: Tut sie es nicht längst? Explodiert die Rede vom Respekt – „Respekt für meinen Fahrstil! Respekt für meine Zweitfrau!“ – nicht derart, weil wir in Respektlosigkeiten zu versinken drohen?

Phrasen lassen sich in zwei Gruppen teilen, in Forderungsphrasen und in Absichtsphrasen. Gefordert wird für andere, Absichten erklärt man für sich, wodurch man aller Verantwortung sich entledigt, denn Verantwortung ist eine Forderungsphrase. Vertrauen ebenso. Wenn Armin Laschet von der CDU mehr „Vertrauen in den Staat“ und Frank-Walter Steinmeier von Schloss Bellevue mehr „Zukunftsvertrauen“ fordert, dann fassen sie die Bürger energisch ans Portepee. Optimismus wird zur Pflicht des guten Deutschen, der seinem Staat, wie schwach auch immer er ihn erleben mag, treu ergeben sein soll. Zur Erinnerung: Im Staat bündelt sich die Exekutive, deren demokratischer Souverän das Volk ist. Auch die Judikative ist an den vom Souverän mittelbar vorgegebenen Rahmen gebunden. Letztlich soll also nun der Souverän seinem ausführenden Organ vertrauen, der Hund dem Schwanz – blind? „Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!“

Gefordert hat jüngst auch Annegret Kramp-Karrenbauer von der CDU viel. Und zwar ausnahmslos Selbstverständliches, weshalb man sich wie im Falle Maas fragt: Auf den Verlust welcher Selbstverständlichkeiten soll der Bürger vorbereitet werden, wenn heute schon das Unumstrittenste umstritten zu sein scheint? Annegret Kramp-Karrenbauer erklärte: „Es darf keine No-Go-Areas geben. Der Staat muss für seine Bürger da sein. Es ist Aufgabe der Polizei die Bürger zu beschützen. Es ist Aufgabe der Gerichte Straftaten zu ahnden. Antisemitismus darf nicht als Kavaliersdelikt abgetan werden.“ Was fehlt noch? Morgens ist es heller als abends? Rechts vor links im Straßenverkehr? Im Phrasentümpel ist gut baden. Vor allem, wenn dieser im Saarland steht. Landsmann und Parteifreund Tobias Hans versprach, nun in der Klimapolitik ordentlich „auf die Tube zu drücken“. Lupenreine Absichtsrhetorik – wie auch die Bilanz von Kanzleramtsminister Helge Braun nach der Ankündigungsklausur des Bundeskabinetts: „Wir haben uns viel vorgenommen.“ Das ist’s ja grade: Vornehmen kann man sich sehr viel. Erledigt ist damit noch nichts. Im Reich der Absichten schlägt keine Stunde.

Auf die Tube drücken, Kavaliersdelikt, Tagesordnung: selten waren die Phrasen abgehangener, abgestandener. „Wir werden das Thema Wohnungsbau ganz oben auf der Tagesordnung haben“, versprach die Kanzlerin auf dem Deutschen Mietertag. Dummerweise stehen dort schon alle anderen Felder, für deren Erledigung die Bundesregierung gewählt worden ist. Die Traktandenliste dieses Kabinetts ist eine grafische Unmöglichkeit: Die erste Liste, die aus nur einer einzigen, freilich endlosen Zeile besteht. Die erste Tagesordnung, bei der alle Punkte ganz oben stehen. Ein waagrechter Leporello. Ein Blasebalg der Erregung. Alles ist erstrangig wichtig, Digitalisierung, Bildung, Gesundheit, Integration, Multilateralismus, Wohnungsbau etc. pp. Sprachliche Tollkühnheit landet beim tollen Denken. Wie viele Biere haben Sie schon, fragt der Kellner den lallenden Gast. Es ist mein erstes. Immer mein erstes. Prost!